Armplexusneuritis im Zusammenhang mit Gardasil® (Aus der UAW-Datenbank)

Gardasil® ist ein Impfstoff zur Prävention von Vorstufen maligner Läsionen im Genitalbereich, Zervixkarzinomen und äußeren Genitalwarzen. Gardasil® enthält virusähnliche Partikel (virus-like particles, VLP) der onkogenen Subtypen 16 und 18 des humanen Papillomavirus (HPV) sowie der Subtypen 6 und 11, die für etwa 90 % der Genitalwarzen (Condylomata acuminata) verantwortlich sind (1). Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) hat im Juli 2007 eine generelle Impfung aller Mädchen im Alter von zwölf bis 17 Jahren gegen HPV (Typen 16 und 18) empfohlen (2). Fragen zur Wirksamkeit, Sicherheit und zum Kosten-Nutzen-Profil des Impfstoffs werden weltweit sowohl in der Fachliteratur als auch in den Medien kontrovers diskutiert (3–6).

Der AkdÄ wurde der Fall einer 18-jährigen Frau gemeldet, die acht Wochen nach der zweiten Injektion von Gardasil® zunächst ein Schweregefühl in den beiden Extremitäten verspürt hatte. Am nächsten Tag konnte sie den Arm nicht mehr anheben, das Greifen war erschwert, und es bestand ein fleckförmiges Taubheitsgefühl im Bereich des rechten Unterarms, der Hand und der Schulter. Schmerzen wurden verneint, weitere Beschwerden oder Vorerkrankungen nicht angegeben. Außer der Antibabypille nahm die Patientin keine Medikamente regelmäßig ein; Konsum von etwa 20 Zigaretten pro Tag. Bei der neurologischen Untersuchung zeigte sich eine proximal betonte Parese des rechten Arms sowie ein Absinken des rechten Beins im Halteversuch. Zum Ausschluss von entzündlichen Ursachen und Raumforderungen im ZNS wurden umfangreiche Untersuchungen im Serum und Liquor sowie ein MRT von Kopf und Halswirbelsäule durchgeführt. Anhand der elektrophysiologischen Befunde und des MRT vom Plexus cervicobrachialis konnte schließlich die Diagnose einer vorwiegend rechtsseitigen Neuritis des Plexus cervicobrachialis gestellt werden. Es wurde eine gewichtsadaptierte Behandlung mit Prednisolon begonnen. Die neurologischen Symptome waren im weiteren Verlauf deutlich rückläufig, sodass die Patientin acht Tage später in die ambulante Betreuung entlassen werden konnte.

Die idiopathische Armplexusneuritis (neuralgische Schulteramyotrophie) beginnt typischerweise mit akuten Schulterschmerzen, denen eine Armplexusparese mit motorischen und sensiblen Ausfällen folgt. Seltene Fälle von Armplexusneuritiden ohne Schmerzen sind beschrieben (7). In einer Untersuchung von 246 Fällen von Armplexusneuritis waren in mehr als 55 % der Fälle auch Nerven außerhalb des Armplexus betroffen, davon in etwa einem Drittel der Plexus lumbosacralis. Bei etwa der Hälfte der Patienten ließen sich vorhergehende Ereignisse identifizieren, davon am häufigsten Infektionen, aber in fünf Fällen auch Impfungen (4,3 %) (7).

Für Neuritiden im Zusammenhang mit Impfungen werden als übliches Zeitfenster zwischen Impfung und Symptom fünf bis 42 Tage angegeben. Im vorliegenden Fall ist das Intervall mit 47 Tagen relativ lang, jedoch noch im plausiblen Bereich. Einschränkend muss angemerkt werden, dass trotz umfangreicher Diagnostik aus den vorliegenden Unterlagen nicht eindeutig abgeleitet werden kann, ob ein Infekt in den Wochen vor Beginn der Neuritis durchgemacht wurde. Zusammenfassend wird der Kausalzusammenhang zwischen der Impfung mit Gardasil® und der Armplexusneuritis bei dem an die AkdÄ gemeldeten Fall als "möglich" eingestuft. Ein weiterer Fall einer Armplexusneuritis nach Impfung mit Gardasil® wurde kürzlich publiziert (9). In der Fachinformation von Gardasil® wird unter neurologischen Nebenwirkungen neben Schwindel, Kopfschmerzen und Synkopen das Guillain-Barré-Syndrom aufgeführt, andere Neuritiden jedoch nicht genannt (1).

Zwischen Mai 2007 und September 2008 wurden der AkdÄ 158 Verdachtsfälle von Impfkomplikationen im Zusammenhang mit Gardasil® berichtet. Von den berichteten Reaktionen wurden 45 (28,5 %) als schwerwiegend eingestuft. In den UAW-Berichten zu Gardasil® werden zentrale und periphere neurologische Symptome häufiger als Symptome aus anderen Organbereichen genannt. Die am häufigsten geschilderten Einzelsymptome sind Kopfschmerz (33) und Schwindelgefühl (30). Häufig berichtete Allgemeinsymptome sind Schwäche (14), Ermüdung (13) und Fieber (13), aber auch Kreislaufsymptome wie Synkope (7) oder Kreislaufkollaps (12).

Durch die Impfung einer großen Bevölkerungsgruppe innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums kommt es zwangsläufig zum Auftreten von Erkrankungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung, ohne dass ein kausaler Zusammenhang bestehen muss (10). Auch wenn kein Pathomechanismus für eine Reaktion bekannt ist, reicht ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Reaktion definitionsgemäß aus, um eine Kausalität als "möglich" einzustufen (11). Für eine Bewertung des Kausalzusammenhangs als "wahrscheinlich" oder "gesichert" sind Informationen erforderlich, die bei Spontanmeldungen nicht immer vorliegen. Andererseits soll das Spontanmeldesystem den Zusammenhang zwischen Impfungen oder Arzneimitteln mit medizinischen Ereignissen nicht abschließend belegen, sondern lediglich Hinweise auf mögliche Zusammenhänge (Signale) geben, die durch Studien geprüft werden müssen. Aus Sicht der AkdÄ ist daher die Durchführung einer epidemiologischen Studie erforderlich, um zeitlich koinzidente Ereignisse von tatsächlich impfungsbedingten Reaktionen besser abzugrenzen. Nur dann können Nutzen und Risiko der HPV-Impfung verlässlich abgewogen werden.

Literatur

    1. Sanofi Pasteur MSD SNC: Fachinformation "Gardasil®". Stand: Juli 2008.
    2. Mitteilungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut: Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) für Mädchen von 12 bis 17 Jahren – Empfehlung und Begründung: Epidemiologisches Bulletin 2007; Nr. 12: 97–103.
    3. Sawaya GF, Smith-McCune K: HPV vaccination – more answers, more questions. N Engl J Med 2007; 356: 1991–3. MEDLINE
    4. Haug CJ: Human papillomavirus vaccination – reasons for caution. N Engl J Med 2008; 359: 861–2. MEDLINE
    5. Kim JJ, Goldie SJ: Health and economic implications of HPV vaccination in the United States. N Engl J Med 2008; 359: 821–32. MEDLINE
    6. Lippman A, Melnychuk R, Shimmin C, Boscoe M: Human papillomavirus, vaccines and women's health: questions and cautions. CMAJ 2007; 177: 484–7. MEDLINE
    7. van Alfen N, van Engelen BG: The clinical spectrum of neuralgic amyotrophy in 246 cases. Brain 2006; 129: 438–50. MEDLINE
    8. Suarez GA, Giannini C, Bosch EP et al.: Immune brachial plexus neuropathy: suggestive evidence for an inflammatory-immune pathogenesis. Neurology 1996; 46: 559–61. MEDLINE
    9. Debeer P, De MP, Bruyninckx F, Devlieger R: Brachial plexus neuritis following HPV vaccination. Vaccine 2008; 26: 4417–9. MEDLINE
    10. Siegrist CA, Lewis EM, Eskola J et al.: Human papilloma virus immunization in adolescent and young adults: a cohort study to illustrate what events might be mistaken for adverse reactions. Pediatr Infect Dis J 2007; 26: 979–84. MEDLINE
    11. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Pharmakovigilanz. Arzneiverordnung in der Praxis 2005; Band 32, Sonderheft 1.

Weitere Untersuchungsbefunde zu dem dargestellten Fall

Ein MRT des Kopfes und der Halswirbelsäule zeigte einen unauffälligen Befund. Laborchemisch war das CRP im Serum leicht erhöht (21,6 mg/l). Der Liquor zeigte einen Normalbefund, insbesondere waren keine oligoklonalen Banden und keine Borrelien-Antikörper, ferner keine immunologischen Auffälligkeiten nachweisbar. Die Medianus-SSEP zeigten beidseits eine Leitungsverzögerung distal des Erb'schen Punktes, rechtsseitig zusätzlich zwischen Erb und HWK 7. Elektroneurographisch fanden sich Hinweise auf eine ausgeprägte, betont demyelinisierende, aber auch axonale sensomotorische Neuropathie. EMG am 4.Tag und EEG ergaben regelrechte Befunde. Ein nativ durchgeführtes MRT des Plexus cervicobrachialis zeigte eine deutliche Signalanhebung in Höhe der Supraklavikulargrube rechts sowie beidseits zahlreiche reaktiv vermehrte und vergrößerte Lymphknoten entlang der Gefäßnervenscheide. Der Befund wurde als Zeichen einer vorwiegend rechtsseitigen Neuritis des Plexus cervicobrachialis interpretiert.