Drug Safety Mail 2019-04

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vom 25.01.2019

Information zu Gliadel® (Carmustin): Aneurysma der Arteria cerebri media nach lokaler Anwendung

Eine Fallmeldung an die AkdÄ hat auf eine mögliche Nebenwirkung der lokalen Anwendung von Carmustin aufmerksam gemacht. Um diese zu vermeiden, sollte auf einen ausreichenden Abstand zwischen eingelegten Plättchen und Gefäßen bei der operativen Gliombehandlung geachtet werden.

Eine 76-jährige Patientin mit Rezidiv eines rechts temporalen Glioblastoms konnte wegen Knochenmarksdepression nicht mehr mit systemischer Chemotherapie behandelt werden. Es erfolgte eine erneute operative Resektion mit intracavitärer Einlage von acht Carmustin-haltigen Polymerplättchen (Wafern). Etwa ein Jahr später trat akut eine intrazerebrale Parenchymblutung rechts temporal mit Hemiparese links und Dysarthrie auf. Ursächlich war ein Aneurysma der rechten Arteria cerebri media, das bei der umfangreichen neuroradiologischen Untersuchung zuvor nicht nachweisbar war. Das ungewöhnlich vulnerable, breitbasige Aneurysma riss bei der perioperativen Manipulation ein, konnte aber erfolgreich mit einem Clip ausgeschaltet werden. Der neurologische Befund blieb postoperativ unverändert.

Gliadel®-Implantate sind polymerbasierte, Carmustin-haltige Plättchen zur direkten intraoperativen lokalen Applikation in die Resektionshöhle. Vorteilhaft ist die Nutzung des zytostatischen Effekts von Carmustin (BCNU) unter Umgehung des Blutkreislaufs mit Vermeidung systemischer Nebenwirkungen vor allem an Knochenmarkszellen. Zudem können lokal höhere Konzentrationen erreicht werden als mit systemischer Applikation. Die Wirksamkeit der Methode wurde in einer randomisierten Phase-II-Studie belegt und entspricht etwa der von systemischem Temozolomid (1). Bekannte Nebenwirkungen sind vor allem akute Hirnödeme sowie Hydrozephalus, wenn die Ventrikel eröffnet werden (2). Intrazerebrale Blutungen nach Anwendung von Gliadel® sind beschrieben. Allerdings fielen dabei meist keine zerebralen Aneurysmen auf. Da Tumoreinblutungen auch spontan auftreten, wurden die Hämorrhagien meist nicht mit der lokalen Behandlung in Verbindung gebracht. Lediglich ein 2015 publizierter Fall berichtet über einen Patienten, der wegen eines rezidivierten Glioblastoms mit Gliadel® lokal behandelt wurde (3). Sechs Monate nach Implantation trat eine massive intrakranielle Blutung bei vorher nicht vorhandenem Pseudoaneurysma der Arteria cerebri media auf, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den implantierten Gliadel®-Plättchen. Die sorgfältige Aufarbeitung des Falles legt einen Zusammenhang zwischen Gliadel® und der Entstehung des Aneurysmas nahe.

Über die Pathophysiologie der Entstehung eines zerebralen Aneurysmas durch Carmustin-haltige Polymere kann mangels Literatur nur spekuliert werden. Die antiproliferative Wirkung von Carmustin sollte keinen Effekt haben, da die Hauptstämme der intrakraniellen Arterien nicht mehr proliferieren. Die vielfach höhere Konzentration von Carmustin (BCNU) bei direkter Applikation läßt allerdings eine direkte toxisch-entzündliche Wirkung auf Endothelzellen, Perizyten und Myozyten möglich erscheinen mit Affektion der mechanischen Stabilität der Gefäßwand und nachfolgend aneurysmatischer Ausweitung. Deshalb sollten Carmustin-haltige Plättchen nur mit Sicherheitsabstand zu den intrakraniellen Gefäßen eingelegt werden, um Schädigungen der Gefäßwände zu vermeiden.

Literatur: