Akuter Gedächtnisverlust unter Atorvastatin und Simvastatin (UAW-News - International)

Die AkdÄ möchte Sie im Folgenden über Publikationen und Meldungen aus dem internationalen Raum informieren und hofft, Ihnen damit nützliche Hinweise auch für den Praxisalltag geben zu können.

Atorvastatin (Sortis®) und Simvastatin (Denan®, Zocor®, Generika) zählen zu den weltweit erfolgreichsten Präparaten überhaupt mit einem Umsatz von 10,3 bzw. 6,1 Milliarden US-$ im Jahre 2003 (1).

Es werden nun aus den USA zwei Fälle einer offenbar seltenen UAW von Statinen berichtet (2). Eine 67-jährige Patientin mit einer Hypertonie, einem Diabetes mellitus Typ 2 und einer Dyslipidämie erhielt anfangs 10 mg, dann 20 mg Atorvastatin pro Tag. Etwa zwei Monate nach der Dosiserhöhung - die 10 mg waren gut vertragen worden - fielen der Familie eine deutliche Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses sowie ein Verlust des Interesses an ihren Routineaktivitäten und sozialen Kontakten auf. Durchgeführte Tests (Mental Status Examination) zeigten erhebliche Defizite. Atorvastatin wurde abgesetzt und einen Monat später war praktisch die Ausgangssituation wieder erreicht. Die Mental Status Examination ergab eine bemerkenswerte Verbesserung des Kurzzeitgedächtnisses.

In einem zweiten Fall erhielt eine 68-jährige Patientin mit einer Hypertonie und einer Hyperlipidämie ebenfalls Atorvastatin 10 mg/Tag. Neun Monate nach Beginn der Therapie berichtete ihre Tochter über eine Verschlechterung des Gedächtnisses. Die Patientin vernachlässigte ihre sozialen Kontakte, vergaß Verabredungen und führte ihr jahrelang geübtes Gymnastikprogramm nicht mehr durch, Letzteres auch aus einem gewissen Gefühl der Muskelschwäche. Atorvastatin wurde abgesetzt, und drei Wochen später waren die genannten Symptome verschwunden. Einige Zeit später wurde ein Versuch mit Simvastatin 20 mg/Tag unternommen, und es kam erneut zu einer Gedächtnisstörung, die sich nach Absetzen des Präparates rasch besserte.

Großes Aufsehen hat in den USA der Bericht von D. Graveline, Arzt und ehemaligem NASA-Astronauten, über seine Statin-assoziierte transiente Amnesie hervorgerufen. (Er ist auch der Autor eines Buches mit dem provozierenden Titel "Statin Drugs Side Effects and the Misguided War on Cholesterol"; vgl.

http://www.spacedoc.net/Statins_flyer.html.)

Im deutschen Spontanerfassungssystem (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ; Stand: 25.11.2004) sind insgesamt 6840 Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) im Zusammenhang mit der Gabe eines Statins erfasst. Am häufigsten wurde über gastrointestinale Störungen (38,4 Prozent), Störungen des Muskel- und Skelettsystems (37,7 Prozent) sowie der Leber (32,8 Prozent) berichtet. Psychiatrische Störungen betrafen 9,4 Prozent der Meldungen. Darunter sind in elf Fällen Gedächtnisstörungen (Amnesie) aufgeführt (Lovastatin: 4; Cerivastatin: 3; Simvastatin: 3; Atorvastatin: 2). Während in den amerikanischen Produktinformationen für Statine auf die Möglichkeit einer Gedächtnisstörung hingewiesen wird, findet diese UAW in den deutschen Fachinformationen bislang keine Erwähnung.

Die Autoren vermuten zur Entstehung der UAW folgenden Mechanismus: Cholesterin ist notwendig zum Aufbau des Myelins. Wenn lipophile Statine wie Atorvastatin und Simvastatin die Blut-Hirn-Schranke passieren, könnte es langfristig zu einer inadäquaten Myelinbildung kommen. In der Literatur wird über einen 51-jährigen Patienten mit Gedächtnisverlust unter Simvastatin berichtet, bei dem nach Umstellung auf den mehr hydrophilen CSE-Hemmer Pravastatin diese UAW nicht mehr auftrat (3).

Diese Beobachtungen stehen in einem nur scheinbaren Widerspruch zu Studien, die für Patienten, die mit Statinen behandelt werden, überzeugend ein reduziertes Risiko für eine Demenz-Erkrankung zeigen. Hierbei handelt es sich aber um Ergebnisse großer Kollektive (4, 5). Bei den geschilderten Fällen müssen Mechanismen im Spiel sein, die bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Patienten nicht von Bedeutung sind (6). Als Erklärung für einen derartigen Effekt kann die Verminderung der Beta-Amyloid-Bildung unter Statinen herangezogen werden (7). Insgesamt handelt es sich wohl um eine eher sehr seltene UAW, die aber der Beachtung bedarf, da sie insbesondere bei vorliegender Komorbidität und dem Alter der Patienten leicht z. B. als "Alterserscheinung" oder gar beginnendem M. Alzheimer fehlgedeutet werden könnte.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im Deutschen Ärzteblatt auf der vorletzten Umschlagseite abgedruckten Berichtsbogen verwenden oder diesen unter der AkdÄ-Internetpräsenz www.akdae.de abrufen.

Literatur

1. Schwabe U, Paffrath P (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2004. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York 2004.

2. King SD, Wilburn AJ, Wofford MR et al.: Cognitive impairment associated with atorvastatin and simvastatin. Pharmacotherapy 2003; 23: 1663-1667.

3. Orsi A, Sherman O, Woldeselassie Z: Simvastatin-associated memory loss. Pharmacotherapy 2001; 21: 767-769.

4. Wolozin B, Kellman W, Ruosseau P et al.: Decreased prevalence of Alzheimer disease associated with 3-hydroxy-3-methyglutaryl coenzyme A reductase inhibitors. Arch Neurol 2000; 57: 1439-1443.

5. Jick H, Zornberg GL, Jick SS et al.: Statins and the risk of dementia. Lancet 2000; 356: 1627-1631.

6. Wagstaff LR, Mitton MW, Arvik BM, Doraiswamy PM: Statin-associated memory loss: analysis of 60 case reports and review of literature. Pharmacotherapy 2003; 23: 871-880.

7. Fassbender K, Masters C, Beyreuther K: Alzheimer´s disease: molecular concepts and therapeutic targets. Naturwissenschaften 2001; 88: 261-267.