Die unkritische Anwendung von Fentanylpflastern erhöht das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen (UAW-News International)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 109, Heft 14, 06.04.2012
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 109, Heft 14, 06.04.2012
Fentanylpflaster sind in Deutschland zum stark wirksamen Opioid der ersten Wahl geworden. Bei Verordnung und Umgang werden jedoch Empfehlungen für eine sichere Anwendung nicht immer beachtet: So werden Fentanylpflaster häufig bei opioidnaiven Patienten eingesetzt und durch die Verordnung von zu hohen Dosierungen bei Therapiebeginn können vor allem ältere und multimorbide Patienten gefährdet werden. Trotz Kontraindikation werden Fentanylpflaster auch bei akuten Schmerzen verordnet, und nur bei einem Viertel der Patienten liegen Erkrankungen vor, die z. B. wegen Schluckstörungen eine transdermale Schmerzmittelgabe erforderlich machen. Dies zeigt eine Untersuchung von Krankenversicherungsdaten aus den Jahren 2004 bis 2006 (1).
Indikation für Erwachsene: Chronische Schmerzen, die nur mit Opioidanalgetika ausreichend behandelt werden können und einer längeren, kontinuierlichen Behandlung bedürfen.
Entwicklung der Verordnungen: Seit dem Jahr 2000 steigen die Verordnungen stark wirksamer Opioide. Der Anstieg ist bei Fentanylpflastern besonders ausgeprägt: Im Jahr 2010 wurden mehr als 40 % der stark wirksamen Opioide in Form von Fentanylpflastern verordnet (2).
Bei richtiger Anwendung sind Fentanylpflaster wirksame und sichere Schmerzmittel. Die britische und die US-amerikanische Arzneimittelbehörde warnen jedoch vor schweren Intoxikationen aufgrund von Anwendungsproblemen: durch falsche Dosierung, unzweckmäßigen Einsatz oder auch Unglücksfälle wie das Verschlucken von Pflastern durch Kinder (3, 4). Die FDA weist darauf hin, dass Fentanylpflaster entsprechend der US-Zulassung nur bei opioidtoleranten Patienten eingesetzt werden sollen. Als opioidtolerant gilt ein Patient, der über mindestens eine Woche 60 mg Morphin pro Tag oder mehr eingenommen hat (oder die Äquivalenzdosis eines anderen Opioids). In der deutschen Fachinformation wird bei opioidnaiven Patienten empfohlen, zunächst niedrig dosierte unretardierte Opioide (z. B. Morphin, Hydromorphon oder Oxycodon) einzusetzen, die Dosis langsam bis zu einer äquianalgetischen Dosis von 25 µg/h Fentanyl zu steigern und erst dann auf ein Pflaster umzustellen.
Im deutschen Spontanmeldesystem liegen Berichte zu Überdosierungen durch Fentanylpflaster mit zum Teil schwerwiegenden Folgen vor. Darüber hinaus wurden unerwünschte Reaktionen gemeldet, die auf eine Überdosierung hindeuten könnten, wie Bewusstseinsstörungen, Somnolenz oder Atemdepression. Die AkdÄ hat daher mehrfach Hinweise für eine sichere Anwendung zur Verfügung gestellt und sieht eine Indikation für Fentanylpflaster vor allem bei Patienten mit Dauerschmerzen (mittelgradig bis schwer) und stabilem und gleichmäßigem Opioidbedarf (5–7). Besonders angezeigt sind sie bei Patienten, die keine oralen Schmerzmittel einnehmen können, z. B. bei einem Passagehindernis im Gastrointestinaltrakt oder bei therapieresistentem Erbrechen (8).
Das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) hat die Verordnungspraxis bei Fentanylpflastern untersucht (1). Anhand von Krankenkassendaten wurden unter 14 Mio. Versicherten aus ganz Deutschland etwa 35.000 Patienten identifiziert, die im Untersuchungszeitraum von zwei Jahren erstmalig ein Fentanylpflaster verordnet bekamen. Es zeigte sich, dass 84,5 % der Erstanwender opioidnaiv waren, also zuvor kein stark wirksames Opioid eingenommen hatten. Nur bei etwa einem Drittel dieser Erstanwender lag eine Tumorerkrankung vor. Überraschend waren auch folgende Ergebnisse:
Fentanylpflaster werden nach dieser Studie somit oft als Analgetikum der ersten Wahl eingesetzt, obwohl andere Mittel eventuell besser geeignet wären. Der hohe Anteil von einmaligen Verordnungen spricht zudem dafür, dass sie – trotz Kontraindikation – auch bei akuten Schmerzen angewendet werden. Die zum Teil hohen Dosierungen, die bei opioidnaiven Patienten eingesetzt werden, gehen zudem mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen einher. Die AkdÄ möchte daher an folgende Empfehlungen erinnern:
Literatur