Schwere Hyperphosphatämie nach Anwendung von phosphathaltigen Klistieren bei Säuglingen (Aus der UAW-Datenbank)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, Heft 40, 03.10.2014

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, Heft 40, 03.10.2014

Phosphathaltige Klistiere (z. B. Klistier®, Klysma®) sind Medizinprodukte und können angewendet werden zur raschen Darmentleerung, z. B. zur Vorbereitung von Patienten vor verschiedenen Untersuchungen, vor Operationen sowie bei Obstipation (1, 2). In den Gebrauchsinformationen wird darauf hingewiesen, dass die Präparate bei Säuglingen und Kleinkindern (unter sechs Jahren) nicht angewendet werden sollen; verschiedene Begleiterkrankungen stellen eine Kontraindikation dar, z. B. entzündliche Darmerkrankungen und Erkrankungen, die zu Krämpfen, Schmerzen, Verstopfung und Durchfall führen können. Bei Veränderungen, die eine längere Verweildauer des Mittels im Darm bewirken können, sollen phosphathaltige Klistiere nicht angewendet werden (1, 2). Eine verlängerte Darmpassagezeit kann z. B. verursacht werden durch anatomische Veränderungen des Darms (z. B. Stenosen), intestinale neuronale und muskuläre Veränderungen (z. B. M. Hirschsprung), abnormale Skelettmuskulatur mit Beeinträchtigung der Bauchpresse sowie Rückenmarkserkrankungen (z. B. Spina bifida). Der AkdÄ wurden zwei Fälle von schwerer Hyperphosphatämie im Zusammenhang mit der Applikation phosphathaltiger Klistiere bei Säuglingen gemeldet.

Fall 1: Ein sechseinhalb Monate altes Mädchen (Gewicht: 8 kg) hatte eine Anorektalplastik bei anteriorer Analektopie erhalten. Elf Tage später wurde das Mädchen wegen Obstipationsneigung ambulant vorgestellt, nachdem zuletzt drei Tage zuvor eine Defäkation erfolgt war. Es wurde Klistier® rektal verabreicht, woraufhin das Kind wenig Stuhl absetzte. Zurück in der häuslichen Umgebung "verfiel" das Mädchen und wurde vier Stunden nach dem Einlauf im Schockzustand (Herzfrequenz 180 Schläge pro Minute, Blutdruck 49/35 mmHg) und in somnolenter bis komatöser Bewusstseinslage notfallmäßig stationär aufgenommen. Im Labor zeigten sich eine ausgeprägte metabolische Azidose (pH 6,74) sowie eine Hyperphosphatämie (26,33 mmol/l, Referenzbereich 1,15–2,15) und weitere Elektrolytverschiebungen (Natrium 165 mmol/l, Kalium 5,3 mmol/l, Chlorid 101 mmol/l, Kalzium 0,59 mmol/l). Sonographisch war das Colon massiv dilatiert sowie mit Flüssigkeit und flottierendem Stuhl gefüllt. Obwohl das Mädchen umgehend intensivmedizinisch behandelt wurde, gelang es nicht, sie hämodynamisch zu stabilisieren. Bei ventrikulärer Tachykardie bzw. später bei Bradykardie/Asystolie wurde sie mehrfach, jedoch letztendlich erfolglos reanimiert.

Fall 2: Ein sechseinhalb Monate alter Junge (71 cm; 9,3 kg) wurde wegen Obstipation stationär aufgenommen. Kurz nach der Geburt war wegen verzögerter Mekoniumentleerung und rezidivierendem Erbrechen die Verdachtsdiagnose eines M. Hirschsprung gestellt und eine weiterführende Diagnostik empfohlen worden. Nachdem aktuell wegen der Obstipation bereits im häuslichen Umfeld Babylax® (Glycin) und Glycilax® (Glycerol) ohne Erfolg verabreicht worden waren, erhielt der Junge nun in Kurznarkose rektal 200 ml Klysma-Lösung, welche er mit etwas Stuhl teilweise wieder entleerte. Im weiteren Verlauf entwickelte er eine Tachypnoe und Fieber bei verhangenem Bewusstsein. Aufgrund der klinischen, laborchemischen und radiologischen Befunde erfolgten unter dem Verdacht auf einen Ileus mit beginnender Sepsis eine antibiotische Behandlung und die Verlegung in eine Universitätskinderklinik. Dort ließ sich in der Bildgebung freie Luft im Abdomen nicht ausschließen, sodass bei weiter verschlechtertem klinischen Zustand die Indikation zur sofortigen operativen Exploration gestellt wurde. Dabei wurde passend zur Verdachtsdiagnose eines M. Hirschsprung ein toxisches Megacolon gesehen und 60 cm Colon reseziert sowie ein endständiges Colostoma angelegt. Noch im Operationssaal wurde wegen des entgleisten Elektrolythaushalts (Phosphat 19,87 mmol/l, Natrium 153 mmol/l, Kalium 4,3 mmol/l, Chlorid 92 mmol/l, Kalzium 1,12 mmol/l) eine Notfalldialyse begonnen, die bei normalisiertem Phosphat nach neun Stunden beendet werden konnte.

Phosphathaltige Klistiere wirken über osmotische Wasserbindung im Dickdarm stuhlaufweichend und werden in der Regel rasch mit dem Stuhl wieder ausgeschieden (3). Wenn jedoch keine rasche Defäkation erfolgt, kann der vermehrte Wassereinstrom ins Darmlumen einerseits zur Dehydratation führen und andererseits die Einlaufflüssigkeit potenziell resorbiert werden mit der Folge plötzlicher schwerer Hypernatriämien und Hyperphosphatämien (3, 4). Beide Kinder in den hier beschriebenen Fällen wiesen anatomische Veränderungen auf, die zu einer längeren Verweildauer der Mittel im Darm geführt haben können und so für die schweren Hyperphosphatämien ursächlich gewesen sein könnten.

In der Literatur sind zahlreiche, teilweise letal verlaufende Fälle von schwerer Hyperphosphatämie und entsprechenden weiteren Veränderungen von Elektrolytkonzentrationen im Serum nach Anwendung von phosphathaltigen Einläufen bei Kindern beschrieben (3, 5–7). Sowohl Kinder mit Vorerkrankungen, welche für eine verzögerte Darmentleerung prädisponieren, können von solchen Komplikationen betroffen sein (3, 5–7) als auch Kinder ohne Vorerkrankungen (3, 7). Eine solche Nebenwirkung kann auch dann auftreten, wenn phosphathaltige Klistiere in der Vergangenheit problemlos angewendet wurden (7). In der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems sind außer den oben dargestellten Fällen weitere Berichte von Hyperphosphatämien im Zusammenhang mit der Anwendung phosphathaltiger Klistiere bei Kindern erfasst.

Schlussfolgerung und Empfehlung der AkdÄ

Die aktuellen Fallmeldungen bestätigen das Risiko schwerer Hyperphosphatämien nach Anwendung von phosphathaltigen Klistieren bei kleinen Kindern. Wie in den Gebrauchsinformationen aufgeführt, dürfen phosphathaltige Klistiere daher bei Säuglingen und Kleinkindern (unter sechs Jahren) nicht angewendet werden. Wenn solche Präparate z. B. bei anatomischen Veränderungen länger im Darm verbleiben, kann eine vermehrte Resorption von Natrium und Phosphat mit potenziell lebensbedrohlichen Konsequenzen resultieren. Die berichteten Fälle weisen darauf hin, dass trotz der Anwendungsbeschränkungen phosphathaltige Klistiere bei kleinen Kindern eingesetzt werden – vermutlich aus Unkenntnis der Risiken. Für Säuglinge und Kleinkinder zugelassene Alternativen sind je nach Indikation z. B. glycerolhaltige Zäpfchen (8) oder Rektallösungen mit Natriumcitrat und Sorbitol (9).


Literatur
  1. Fresenius Kabi AG: Gebrauchsinformation "Klistier®". Stand: September 2010.
  2. Baxter Healthcare SA: Gebrauchsinformation "1x Klysma salinisch". Stand: November 2011.
  3. Mendoza J, Legido J, Rubio S, Gisbert JP: Systematic review: the adverse effects of sodium phosphate enema. Aliment Pharmacol Ther 2007; 26: 9–20.
  4. Bowers B: Evaluating the evidence for administering phosphate enemas. Br J Nurs 2006; 15: 378–81.
  5. Craig JC, Hodson EM, Martin HC: Phosphate enema poisoning in children. Med J Aust 1994; 160: 347–51.
  6. Helikson MA, Parham WA, Tobias JD: Hypocalcemia and hyperphosphatemia after phosphate enema use in a child. J Pediatr Surg 1997; 32: 1244–6.
  7. Ladenhauf HN, Stundner O, Spreitzhofer F, Deluggi S: Severe hyperphosphatemia after administration of sodium-phosphate containing laxatives in children: case series and systematic review of literature. Pediatr Surg Int 2012; 28: 805–14.
  8. Engelhard Arzneimittel GmbH & Co. KG: Fachinformation "Glycilax®, Zäpfchen". Stand: November 2007.
  9. McNeil: Fachinformation "Microlax® Rektallösung". Stand: Juni 2013.