Akute myeloische Leukämie nach Behandlung einer multiplen Sklerose mit Mitoxantron (Aus der UAW-Datenbank)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 106, Heft 13, 27.03.2009

Das Zytostatikum Mitoxantron wird in der Therapie von fortgeschrittenen Mammakarzinomen, Non-Hodgkin-Lymphomen, akuten myeloischen Leukämien und metastasierten, hormonresistenten Prostatakarzinomen eingesetzt. Mitoxantron ist ein Inhibitor der DNS- und RNS-Synthese, es interkaliert in die DNS und führt durch Interaktion mit Topoisomerase zu DNS-Strangbrüchen. Neben seinen zytostatischen Eigenschaften ist Mitoxantron ein nicht selektiv wirksames Immunsuppressivum. Seit 2002 ist es in Deutschland außer für onkologische Indikationen auch zur Behandlung der sekundär progredienten oder progressiv-schubförmigen multiplen Sklerose (MS) zugelassen, wenn bestimmte Kriterien zur Krankheitsaktivität erfüllt sind und eine immunmodulatorische Therapie versagt hat oder nicht vertragen wurde (1). Zu den sehr häufigen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (> 10 %) von Mitoxantron zählen passagere Leuko- und Thrombozytopenien, gastrointestinale Symptome wie Übelkeit und Durchfall, Alopezie, Menstruationsstörungen sowie Infektionen, z. B. der Harnwege.

Der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) wurde der Fall eines 35-jährigen Patienten gemeldet (AkdÄ-Fall Nr.149064), bei dem 2003 eine multiple Sklerose diagnostiziert wurde. Wegen eines frühzeitigen, sekundär chronisch progredienten Verlaufs erhielt er ab März 2006 alle drei Monate einen Zyklus Mitoxantron (12 mg/m2 KOF, beim 10. und 11. Zyklus jeweils 8 mg/m2 KOF, kumulative Gesamtdosis nach dem 11. Zyklus: 124 mg/m2). Bei einer routinemäßigen Blutbildkontrolle vor geplanter Verabreichung des 12. Zyklus im Dezember 2008 zeigte sich eine Leukozytopenie von 1100/µl (Thrombozyten 127.000/µl, Hb 13,7 mg/dl). Im Differenzialblutbild fanden sich zwei Prozent undifferenzierte Blasten. Eine daraufhin durchgeführte Knochenmarkbiopsie ergab eine 80- bis 90-prozentige Infiltration mit undifferenzierten Blasten, vereinzelten Auerstäbchen und fehlender Ausreifung. Zytochemisch war die Myeloperoxidasereaktion (POX) eindeutig positiv, und es wurde die Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie (AML), Subtyp M1 oder M2 nach der FAB-Klassifikation, gestellt.

In einer französischen Studie aus dem Jahr 2000 konnte ein dosisabhängig erhöhtes Risiko für akute Leukämien nach einer Therapie mit Mitoxantron bei Patientinnen mit Brustkrebs gezeigt werden (2). Weitere Studien bestätigten ein erhöhtes Leukämierisiko nach Mitoxantron in Kombination mit anderen Zytostatika und/oder Bestrahlungstherapie (3). Eine kürzlich vorgestellte Untersuchung zu Fällen von akuter Leukämie im Zusammenhang mit Mitoxantron in der MS-Behandlung konnte 39 Fälle identifizieren, die in den USA zwischen 2003 und 2007 gemeldet wurden (4). Bei 18 Patienten lagen auch Daten zur kumulativen Gesamtdosis vor, die im Mittel bei 83,2 mg/m2 (48 bis 135 mg/m2) lag. Inzwischen wurden auch charakteristische chromosomale Translokationen, zum Beispiel t (16, 21), beschrieben, die nach der Behandlung mit Mitoxantron auftreten und möglicherweise zur Entwicklung einer therapieassoziierten AML führen können (5, 6). In der Fachinformation wird auf Leukämien und myelodysplastische Syndrome als unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Mitoxantron mit unbekannter Häufigkeit hingewiesen (1).

Im deutschen Spontanmeldesystem (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Stand: Februar 2009) sind 349 Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Mitoxantron erfasst. Unter den aus Deutschland gemeldeten Fällen befinden sich außer dem oben dargestellten sieben Fälle von AML, die im Zusammenhang mit der Anwendung von Mitoxantron bei MS aufgetreten sind.

Ein weiteres Problem bei der Therapie mit Mitoxantron ist eine dosisabhängige Kardiotoxizität. Bei Einleitung einer Therapie sowie im gesamten Therapieverlauf sind daher regelmäßige Untersuchungen zur Überwachung der Herzfunktion (z. B. Echokardiografien) erforderlich. Empfohlen wird darüber hinaus einmal jährlich eine Herzuntersuchung bis fünf Jahre nach Beendigung der Therapie mit Mitoxantron, da kardiale Beeinträchtigungen auch unterhalb der Höchstdosis und auch verzögert (ein bis mehrere Jahre) nach Beendigung der Therapie auftreten können (7, 8). Erfahrungen aus einer kontrollierten Studie zur Verwendung von Mitoxantron in der Behandlung der MS liegen bis zu einer kumulativen Gesamtdosis von 96 mg/m2 Körperoberfläche (24 Monate Behandlungsdauer) vor. Die Entscheidung über eine Behandlung länger als zwei Jahre und bis zu einer kumulativen Gesamtdosis von maximal 140 mg/m2 sollte im Einzelfall unter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung und gleichzeitiger Überwachung der Herzfunktion getroffen werden (1).

Vor Einleitung einer Therapie mit Mitoxantron müssen Nutzen und Risiken einer Therapie sorgfältig abgewogen und mit den betroffenen Patienten besprochen werden. Insbesondere sollte auf die unvollständige Datenlage zur Langzeittoxizität hingewiesen werden. Hinweise zu den obligatorischen Untersuchungen im Verlauf findet man in den Fachinformationen (1).

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder über die Homepage der AkdÄ abrufbar ist. Es besteht auch die Möglichkeit, über www.akdae.de direkt online einen UAW-Verdachtsfall zu melden.

Sie können sich unter www.akdae.de/20 für einen Newsletter der AkdÄ anmelden, der auf neue Risikoinformationen zu Arzneimitteln hinweist.

Literatur

  1. Meda Pharma GmbH & Co. KG: Fachinformation "Ralenova® 2 mg/ml". Stand: Januar 2008.
  2. Chaplain G, Milan C, Sgro C et al.: Increased risk of acute leukemia after adjuvant chemotherapy for breast cancer: a population-based study. J Clin Oncol 2000; 18: 2836–42. MEDLINE
  3. Leukaemia due to mitoxantrone. Prescrire Int 2007; 16: 153–6. MEDLINE
  4. Rammohan K, Kita M, Lynn D et al.: [P497] Post-marketing reports of acute leukemia in mitoxantrone-treated multiple sclerosis patients. Mult Scler 2008; 14 (S29): S174.
  5. Mistry AR, Felix CA, Whitmarsh RJ et al.: DNA topoisomerase II in therapy-related acute promyelocytic leukemia. N Engl J Med 2005; 352: 1529–38. MEDLINE
  6. Ottone T, Hasan SK, Montefusco E et al.: Identification of a potential "hotspot" DNA region in the RUNX1 gene targeted by mitoxantrone in therapy-related acute myeloid leukemia with t (16; 21) translocation. Genes Chromosomes Cancer 2009; 48: 213–21. MEDLINE
  7. FDA: Information for Healthcare Professionals: Mitoxantrone Hydrochloride (marketed as Novantrone and generics): www.fda.gov/cder/drug/InfoSheets/HCP/mitroxantroneHCP.htm. FDA Alert vom 29. Juli 2008. Zuletzt geprüft: 19. Februar 2009.
  8. Ludwig W-D: Anthrazykline und verwandte Substanzen. In: Müller-Oerlinghausen B, Lasek R, Düppenbecker H et al. (Hrsg.): Handbuch der unerwünschten Arzneimittelwirkungen. München, Jena: Urban & Fischer, 1999; 529–31.