Orlistat (Xenical®) ist ein peripher wirkendes Abmagerungsmittel. In Kombination mit einer hypokalorischen Kost ist es zugelassen zur Behandlung von adipösen Patienten mit einem Körpermasseindex (Body-Mass-Index, BMI) > 30 kg/m² sowie bei übergewichtigen Patienten (BMI > 28 kg/m²), wenn begleitende Risikofaktoren vorliegen (1). Randomisierte kontrollierte Studien belegten eine signifikante, jedoch nur moderate mittlere Gewichtsabnahme von 2,5 bis 3 kg gegenüber Placebo über ein Jahr (2, 3). Orlistat hemmt gastrointestinale Lipasen, sodass die in der Nahrung enthaltenen Triglyzeride nicht in resorbierbare freie Fettsäuren und Monoglyzeride hydrolysiert werden können. Etwa ein Drittel des zugeführten Nahrungsfetts wird so unverdaut wieder ausgeschieden. Da Orlistat vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Lifestyle-Medikament bewertet wurde, kann es nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden.
Singh et al. berichten über eine 57-jährige Patientin (4), die an einem Diabetes mellitus Typ II und einer chronischen Niereninsuffizienz auf dem Boden einer hypertensiven Nephrosklerose leidet (Serumkreatinin 2,5 mg/dl). An weiteren Vorerkrankungen bestehen ein Asthma, eine gastroösophageale Refluxkrankheit, eine Gichtarthritis und eine Hypothyreose. Nach einer Dosiserhöhung von zwei- auf dreimal täglich 120 mg Orlistat (höchste vom Hersteller empfohlene Dosis) kam es innerhalb von zwei Monaten zu einem allgemeinen Krankheitsgefühl und Episoden mit öligen Stuhlabgängen. Laborchemisch war ein langsamer Anstieg des Serumkreatinins bis auf 4 mg/dl zu verzeichnen. Zur weiteren Abklärung des zunehmenden Nierenversagens wurde eine Nierenbiopsie durchgeführt. Diese zeigte intratubulär und interstitiell eine große Anzahl von Kalzium-Oxalat-Kristallen sowie eine allgemeine diffuse, chronische interstitielle Fibrose. Nach Absetzen von Orlistat und einer Erhöhung der Trinkmenge fiel das Serumkreatinin auf 2,8 mg/dl. In einer zweiten Nierenbiopsie einen Monat später fand man keine Kalzium-Oxalat-Kristalle mehr.
Normalerweise werden weniger als 10 % des Oxalats aus der Nahrung über den Darm aufgenommen. Der größere Teil bildet im Darmlumen mit Kalzium unlösliche Komplexe, die mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Orlistat bewirkt durch Hemmung von Lipasen die Malabsorption von Fett. Dies führt dazu, dass mehr Kalzium an langkettige Fettsäuren im Darm gebunden wird und für die Reaktion mit Oxalat nicht mehr zur Verfügung steht. Oxalat wird hierdurch vermehrt über die Darmschleimhaut aufgenommen und über die Nieren ausgeschieden. Es resultiert eine enteral bedingte Hyperoxalurie, die zu Nierensteinen oder wie im vorliegenden Fall zur Oxalatnephropathie führen kann. Die enteral bedingte Hyperoxalurie wurde auch im Zusammenhang mit anderen Formen der Malabsorption von Fett beschrieben, z. B. beim Kurzdarmsyndrom oder nach chirurgischen Darmeingriffen zur Adipositasbehandlung (5, 6).
Die Autoren des beschriebenen Falls diskutieren, dass es durch Einnahme von Orlistat bei der Patientin zur enteral bedingten Oxalurie gekommen sei, die bei der bereits vorgeschädigten Niere und der Exsikkose durch die Steatorrhö zur akuten Verschlechterung der Nierenfunktion geführt habe. In einem aktuell erschienenen Artikel werden zwei weitere Verdachtsfälle von Nierenschäden durch Kalziumoxalat im Zusammenhang mit Orlistat dargestellt (7).
Im deutschen Spontanmeldesystem (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Stand: Juli 2008) sind 173 Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Orlistat erfasst. Am häufigsten werden gastrointestinale Beschwerden wie Abdominalschmerzen, Diarrhö und Übelkeit gemeldet. Über eine Nephrolithiasis wird zweimal berichtet, drei Fälle von Nierenversagen unter Orlistat werden im Zusammenhang mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen genannt.
In der Fachinformation zählt eine eingeschränkte Nierenfunktion nicht zu den Kontraindikationen für die Gabe von Xenical®. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass Daten zur Behandlung bei Niereninsuffizienz nicht vorliegen (1). Die AkdÄ hat wegen der schlechten gastrointestinalen Verträglichkeit und des zweifelhaften langfristigen Nutzens zur Gewichtsreduktion Orlistat zur Therapie der Adipositas nicht empfohlen (2). Vor dem Hintergrund der Hinweise auf Nierenschäden durch eine enteral bedingte Oxalurie sollte bei bestehender Einschränkung der Nierenfunktion auf die Gabe von Orlistat verzichtet werden.
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder aus der AkdÄ-Internetpräsenz abrufbar ist. Es besteht auch die Möglichkeit, über www.akdae.de direkt online einen UAW-Verdachtsfall zu melden.
Literatur
- Roche Registration Limited: Fachinformation "Xenical® 120 mg Hartkapseln". Stand: Juni 2006.
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Hrsg.): Arzneiverordnungen. 21. Aufl.; Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 2006.
- Rucker D, Padwal R, Li SK et al.: Long term pharmacotherapy for obesity and overweight: updated meta-analysis. BMJ 2007; 335: 1194–9.
- Singh A, Sarkar SR, Gaber LW, Perazella MA: Acute oxalate nephropathy associated with orlistat, a gastrointestinal lipase inhibitor. Am J Kidney Dis 2007; 49: 153–7.
- Duffey BG, Pedro RN, Makhlouf A et al.: Roux-en-Y gastric bypass is associated with early increased risk factors for development of calcium oxalate nephrolithiasis. J Am Coll Surg 2008; 206: 1145–53.
- Kato Y, Tamaki G, Tokumitsu M et al.: A case of urolithiasis associated with short bowel syndrome. Nippon Hinyokika Gakkai Zasshi 2003; 94: 33–6.
- Karamadoukis L, Ludeman L, Williams AJ: Is there a link between calcium oxalate crystalluria, orlistat and acute tubular necrosis? Nephrol Dial Transplant 2008; 23: 1778–9.