Die AkdÄ möchte Sie im Folgenden über Publikationen und Meldungen aus dem
internationalen Raum informieren und hofft, Ihnen damit nützliche Hinweise auch
für den Praxisalltag geben zu können.
Trotz der großen Erfolge der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART)
bezüglich des Überlebens bei HIV-Infektion verdienen die unerwünschten
Wirkungen dieser Behandlung (z. B. Myopathie, Leberenzymerhöhung bis zum
Leberversagen, Pankreatitis, Dyslipoproteinämie, Laktazidose) Beachtung. Die
Mechanismen für diese unerwünschten Wirkungen speziell auf die Leber sind bis
heute nicht geklärt, ebenso wenig die Frage, ob es signifikante Unterschiede
gibt zwischen nukleosidalen und nichtnukleosidalen Reverse-Transkriptasehemmern
und Proteaseinhibitoren.
Kürzlich wurde über sechs HIV-infizierte Patienten berichtet, die unter
einer antiretroviralen Kombinationstherapie ein akutes Leberversagen
entwickelten und von denen fünf verstarben (1). Keiner der Patienten hatte
eine begleitende opportunistische Infektion, einen malignen Tumor, eine akute
Virushepatitis oder eine über HAART hinausgehende neue Medikation. Die
Patienten waren zwischen 23 und 49 Jahre alt, die Diagnose der HIV-Infektion lag
in fünf Fällen zwischen ein und vier Jahren zurück, in einem Fall zwölf
Jahre. Die Zahl der CD4-Helferzellen war bei drei Patienten unter 300, bei zwei
Patienten über 500 (ein Patient ohne Angaben). Die Viruslast war in drei
Fällen < 500, in einem Fall 50 000, in einem weiteren
138 000, ein Fall ohne Angabe. Die Dauer der HAART in der zuletzt
eingesetzten Zusammensetzung betrug vier bis zwölf Monate. Alle Patienten
hatten eine hochpathologische Prothrombinzeit, hochpathologische Bilirubinwerte
sowie GPT-Werte > 200 U/l. Eine Leberpunktion wurde im Falle des
überlebenden Patienten in der Akutphase der Erkrankung, bei den übrigen fünf
Patienten postmortal durchgeführt. Die Histologie zeigte in einem Fall eine
Steatose, in fünf Fällen eine Leberzellnekrose.
Alle Patienten bekamen wenigstens drei Arzneimittel eines HAART-Regimes, zwei
Patienten erhielten eine Kombinationstherapie aus vier Substanzen. Der am
häufigsten verwendete Wirkstoff war Stavudin (fünf Fälle), drei Patienten
erhielten Lamivudin, jeweils zwei Patienten erhielten Didanosin, Efavirenz,
Nevirapin oder Saquinavir, jeweils einmal vertreten waren Hydroxyharnstoff,
Nelfinavir und Zidovudin.
Das akute Leberversagen entwickelte sich plötzlich, ohne Hinweise bei der
vorausgegangenen Routinekontrolle. Es war nicht abhängig von der Dauer der
HIV-Infektion oder Art und Dauer der HAART-Medikation. Andere Ursachen für ein
Leberversagen konnten jeweils ausgeschlossen werden. Die Mortalität der
Patienten war nicht abhängig von einer manifesten Aids-Erkrankung (drei
Patienten waren asymptomatisch). Die Fälle bestätigen, dass eine
Hepatotoxizität bei allen Typen von HAART auftreten kann. In zwei Fällen
fanden sich Hinweise auf eine Hypersensitivität (Lymphadenopathie mit
Eosinophilie, Exanthem mit Eosinophilie).
Nach dieser Erfahrung ist es nicht möglich, den Ausgang einer schweren
Leberfunktionsstörung unter HAART vorherzusagen. Deshalb sollten alle Patienten
mit Leberfunktionsstörungen intensiv supportiv behandelt werden. Eine spezielle
Behandlung steht nicht zur Verfügung, obgleich es Einzelfallberichte mit
günstigen Verläufen unter Riboflavin und Corticosteroiden gibt.
Die AkdÄ weist auf der Basis dieser Beobachtungen darauf hin, dass Ärzte,
die Patienten mit HIV-Infektion mittels HAART therapieren, mit dem potenziellen
Problem eines akuten Leberversagens vertraut sein müssen, besonders weil keine
eindeutig identifizierbaren Risikofaktoren oder genaue Prädiktoren für
Risikopatienten vorhanden sind. Ein Monitoring der Plasmakonzentrationen bei
antiretroviraler Therapie ist keine Hilfe, da die Plasmakonzentrationen mit den
intrazellulären Konzentrationen nicht korrelieren. Zukünftige Forschung muss
nach Wegen suchen, die gefährdeten Patienten zu identifizieren, weil mit
zunehmender Zahl der mittels HAART behandelten Patienten das Risiko des akuten
Leberversagens zunehmen wird.
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch
Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im
Deutschen Ärzteblatt auf der vorletzten Umschlagseite abgedruckten
Berichtsbogen verwenden oder diesen unter der AkdÄ-Internetpräsenz
www.akdae.de abrufen.
Literatur
1. Clark SJ, Creighton S, Portmann B, Taylor C, Wendon JA, Cramp ME: Acute
liver failure associated with antiretroviral treatment for HIV: a report of six
cases. Journal of Hepatology 2002; 36: 295-301.