Bei der Verschreibung von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva sollte das Risiko für thromboembolische Ereignisse berücksichtigt werden (UAW-News International)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, Heft 37, 12.09.2014
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, Heft 37, 12.09.2014
Der Ausschuss für Risikobewertung in der Pharmakovigilanz (PRAC) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat kürzlich eine umfassende Bewertung des Risikos für Thromboembolien in Verbindung mit verschiedenen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva durchgeführt (1). Über die Ergebnisse wurde unter anderem in einem Rote-Hand-Brief informiert, und eine Verordnungscheckliste und eine Patienteninformation wurden zur Verfügung gestellt (2).
In der Bewertung kam man u. a. zu dem Ergebnis, dass das Risiko für das Auftreten venöser Thromboembolien (VTE) unter allen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva mit niedrigem Ethinylestradiol-Gehalt (< 50 µg) gering ist. Am höchsten ist das VTE-Risiko im ersten Jahr der Anwendung bzw. bei erneuter Anwendung nach einer Pause von mehr als vier Wochen. Ebenfalls erhöht ist das Risiko bei VTE in der Vorgeschichte, nach Traumata oder Operationen, bei Immobilisation, Rauchen, Übergewicht oder einer hereditären Thrombophilie.
Die Bewertung hat jedoch auch gezeigt, dass sich das VTE-Risiko zwischen einzelnen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva in Abhängigkeit vom enthaltenen Gestagen unterscheidet. Nach den verfügbaren Daten weisen Präparate mit den Gestagenen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat das niedrigste VTE-Risiko auf (siehe Tabelle). Demgegenüber konnte der PRAC hinsichtlich des Nutzens keine Unterschiede zwischen den einzelnen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva feststellen. Allerdings können nichtschwerwiegende Nebenwirkungen wie Empfindlichkeit der Brüste, Übelkeit, Kopfschmerzen, Gewichtszunahme und Akne jeweils unterschiedlich ausgeprägt sein. Daher sollte eine Auswahl an verschiedenen Kontrazeptiva für die Verordnung zur Verfügung stehen, um jeder Frau ein für sie verträgliches Präparat anbieten zu können.
Strittig war im PRAC die Frage, welche Empfehlungen man in Kenntnis des unterschiedlichen Risikos einzelner kombinierter hormonaler Kontrazeptiva und des unterschiedlichen Risikoprofils bei Frauen hinsichtlich der Verordnung geben sollte. Mehrheitlich wurde beschlossen, dass "die Risikofaktoren jeder einzelnen Frau/Anwenderin – insbesondere jene für VTE – sowie die Unterschiede, die zwischen den einzelnen Präparaten hinsichtlich des VTE-Risikos bestehen, zu berücksichtigen" sind. Aus den veröffentlichten "abweichenden Stellungnahmen" von Mitgliedern des PRAC geht aber hervor, dass unter anderem die Vertreter aus Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden eine eindeutige Empfehlung favorisiert haben: Demnach sollten bei Erstanwenderinnen sowie bei Frauen mit einem erhöhten Risiko für venöse Thromboembolien kombinierte hormonale Kontrazeptiva mit einem niedrigeren Risiko verordnet werden, also Präparate mit Levonorgestrel, Noresthisteron oder Norgestimat als Gestagenanteil.
Die EMA hat eine Tabelle zur Verfügung gestellt, aus der die Unterschiede im VTE-Risiko der einzelnen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva anschaulich hervorgehen (siehe Tabelle, erste und zweite Spalte). Ausgehend von den angegebenen Ereignisraten pro 10.000 Frauen hat die AkdÄ hochgerechnet, mit wie vielen venösen Thromboembolien in Deutschland jeweils gerechnet werden müsste, wenn alle Frauen, die derzeit ein Kontrazeptivum einnehmen (etwa 6,8 Mio. nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2010 [3]), ein Präparat aus einer bestimmten Risikogruppe einnehmen würden (siehe dritte Spalte). Aus den Zahlen wird deutlich, dass aufgrund der breiten Anwendung von oralen Kontrazeptiva – trotz zunächst geringer Unterschiede im Risiko berechnet pro 10.000 Frauen – erhebliche Unterschiede in den absoluten Zahlen hinsichtlich des Auftretens venöser Thromboembolien bei Frauen resultieren würden. Dabei ist zu bedenken, dass bei etwa 1 bis 2 % der venösen Thromboembolien mit einem tödlichen Verlauf gerechnet werden muss.
Die EMA hat ergänzend die Verordnungen von kombinierten Kontrazeptiva in Deutschland, Frankreich und Großbritannien für die Jahre 2002 bis 2011 bei Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren verglichen. In Frankreich und Großbritannien entfielen zwischen 30 und 40 % der Verordnungen auf Präparate der dritten und vierten Generation, also Präparate, die z. B. Desogestrel, Drospirenon, Chlormadinon oder Dienogest als Gestagen enthalten. In Deutschland lag dieser Anteil bei 50 bis 70 %. Dies bedeutet, dass im europäischen Vergleich in Deutschland anteilig mehr Präparate mit einem höheren oder bislang unklaren Risiko für venöse Thromboembolien verordnet werden. In allen drei Ländern wurde eine Zunahme der Verordnung von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva der dritten und vierten Generation im untersuchten Zeitraum beobachtet.
Das Risiko für venöse Thromboembolien in Verbindung mit der Einnahme von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva hängt sowohl von individuellen Risikofaktoren der Anwenderin als auch vom Gestagenanteil des jeweiligen Präparats ab. Die konsequente Berücksichtigung dieser Faktoren bei der Auswahl eines Kontrazeptivums kann zu einer relevanten Reduktion der zu erwartenden Fälle von venösen Thromboembolien in Deutschland beitragen.
Bei der Verordnung eines kombinierten hormonalen Kontrazeptivums sollten Kontraindikationen strikt beachtet werden, hierzu zählen u. a. bestehende oder vorausgegangene venöse oder arterielle Thrombosen, bekannte Blutgerinnungsstörungen, sehr hoher Blutdruck, Diabetes mellitus mit Gefäßschäden oder eine Migräne mit fokalen neurologischen Symptomen in der Anamnese (siehe jeweilige Fachinformation).
Aus Sicht der AkdÄ sollten bei Erstanwenderinnen vorzugsweise kombinierte hormonale Kontrazeptiva mit einem niedrigeren Risiko für venöse Thromboembolien verordnet werden, also Präparate mit Levonorgestrel, Noresthisteron oder Norgestimat als Gestagenanteil. Dies gilt auch für Frauen mit einem aus anderen Gründen erhöhten Risiko für venöse Thromboembolien (wie z. B. Rauchen, Übergewicht), wenn nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung ein Kontrazeptivum verordnet wird.