Aufgrund von Hinweisen auf die protektive Wirkung einer hohen Calciumzufuhr auf kardiovaskuläre Erkrankungen wurde 2008 von Bolland et al. eine randomisierte placebokontrollierte Studie zu den Effekten einer Calciumsubstitution auf Knochendichte und Frakturinzidenz nachträglich hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse ausgewertet (1, 2). In der Studie wurden 1471 gesunde postmenopausale Frauen im Alter über 55 Jahre über einen Zeitraum von fünf Jahren beobachtet. Keine der Frauen wurde wegen einer Osteoporose behandelt oder hatte 25-OH-Vitamin-D-Konzentrationen unterhalb des mittleren Normbereichs von 25 nmol/l. Als primäre Endpunkte der erneuten Analyse der Studiendaten wurden Herzinfarkte, Schlaganfälle und plötzlicher Tod ausgewertet. Nach etwa drei Jahren zeigten sich in der mit Calcium behandelten Gruppe signifikant mehr Herzinfarkte als in der Placebogruppe (45 Ereignisse bei 31 Frauen gegenüber 19 Ereignissen bei 14 Frauen, p = 0,01). Auch der zusammengesetzte Endpunkt aus Herzinfarkt, Schlaganfall und plötzlichem Tod trat häufiger in der mit Calcium behandelten als in der Placebogruppe auf (101 Ereignisse bei 69 Frauen versus 54 Ereignisse bei 42 Frauen der Placebogruppe, p = 0,008). Diese Auswertung von Bolland et al. muss jedoch mit Vorsicht interpretiert werden, da die in dieser Studie durchgeführte Post-hoc-Analyse von Ergebnissen mit nachträglicher Einführung eines neuen, zusammengesetzten Endpunkts nur eine Hypothesenformulierung, jedoch keine sichere Aussage erlaubt.
Von derselben Arbeitsgruppe wurde nun eine aktuelle Metaanalyse zum kardiovaskulären Risiko von Calciumsupplementen überwiegend ohne zusätzliche Gabe von Vitamin D veröffentlicht (3). Sie soll nach Angaben im Abstract auf 15 placebokontrollierten randomisierten Studien mit insgesamt etwa 20.000 Patienten beruhen. Eingeschlossen wurden Studien mit einer Dauer von mehr als einem Jahr und mindestens 100 Teilnehmern im Alter über 40 Jahre, in denen eine Calciumsupplementierung von ≥ 500 mg pro Tag mit Placebo verglichen wurde. Auch in dieser Metaanalyse findet man ein geringfügig, aber statistisch signifikant erhöhtes Risiko von Myokardinfarkten unter Calciumsupplementierung (HR = 1,27; 95%-CI 1,01-1,59). Nichtsignifikante Risikoerhöhungen zeigen sich für den Endpunkt Schlaganfall, den zusammengesetzten Endpunkt aus Myokardinfarkt, Schlaganfall und plötzlichem Tod und für den Endpunkt Tod jeglicher Ursache.
Zu anderen Ergebnissen als die Metaanalyse von Bolland et al. hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos einer Supplementierung mit Calcium kommt eine ebenfalls in diesem Jahr publizierte randomisierte placebokontrollierte Studie bei älteren australischen Frauen (Alter: 75,1 ± 2,7 Jahre) (4). Diese Untersuchung hatte als kombinierten primären Endpunkt Tod oder erstmalige Hospitalisierung aufgrund atherosklerotischer vaskulärer Erkrankung unter Calciumsubstitution im Vergleich zu Placebo. Ein Unterschied im Risiko für den primären Endpunkt zeigte sich zwischen der Calcium- und der Placebogruppe nicht.
Zusammenfassend ist aus Sicht der AkdÄ aufgrund der bislang vorliegenden Daten ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (z. B. Myokardinfarkte) durch Calciumsupplemente nicht ausreichend belegt, und es besteht kein Anlass, die aktuellen Empfehlungen zur Prävention und Behandlung der Osteoporose infrage zu stellen. Die in der aktuellen Metaanalyse von Bolland et al. untersuchte alleinige Gabe von Calcium zur Korrektur einer osteoporotischen Stoffwechselstörung ohne eine zusätzliche Gabe von Vitamin D wird in den gültigen deutschen Leitlinien nicht empfohlen (5). Zur generellen Prophylaxe der Osteoporose und dadurch bedingter Frakturen wird eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D3 angeraten, z. B. durch tägliche Sonnenlichtexposition von Armen und Gesicht über mindestens 30 Minuten oder orale Gabe von Vitamin D3. Zusätzlich sollte die Zufuhr von etwa 1000 mg Calcium pro Tag mit der Nahrung angestrebt werden (5, 6). Calcium ist insbesondere in Milch und Milchprodukten, einigen Gemüsen (z. B. Brokkoli, Grünkohl, Fenchel, Lauch) und Mineralwässern enthalten. Calciumsupplemente werden nur empfohlen, wenn eine ausreichende Aufnahme über die Nahrung nicht gewährleistet ist. Andererseits ist auch der Nutzen einer kombinierten Substitution Calcium und Vitamin D zur Prävention von Frakturen begrenzt und zusätzlich abhängig von Faktoren wie dem Lebensalter, einer Unterbringung in einem Pflegeheim und dem Ausgangsrisiko für Frakturen (7). Bei Patienten sollte zunächst das Frakturrisiko sowie die Calciumaufnahme über die Nahrung und die Versorgung mit Vitamin D eingeschätzt werden, um dann entscheiden zu können, ob ein Nutzen durch Supplemente zu erwarten ist. Die Calciumgesamtaufnahme (Nahrung plus Supplement) pro Tag sollte 1000 bis 1500 mg betragen.
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Literatur
- Bolland MJ, Barber PA, Doughty RN et al.: Vascular events in healthy older women receiving calcium supplementation: randomised controlled trial. BMJ 2008; 336: 262-6.
- Reid IR, Mason B, Horne A et al.: Randomized controlled trial of calcium in healthy older women. Am J Med 2006; 119: 777-85.
- Bolland MJ, Avenell A, Baron JA et al.: Effect of calcium supplements on risk of myocardial infarction and cardiovascular events: meta-analysis. BMJ 2010; 341: c3691.
- Lewis JR, Calver J, Zhu K et al.: Calcium supplementation and the risks of atherosclerotic vascular disease in older women: results of a 5-year RCT and a 4.5-year follow-up. J Bone Miner Res 2010.
- Dachverband der Deutschsprachigen Wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften e.V.: DVO-Leitlinie 2009 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Erwachsenen. Osteologie 2009; Nr. 4: 304-24.
- Osteoporose und andere Knochenerkrankungen. In: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Hrsg.): Arzneiverordnungen. 22. Aufl., Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 2009; 1069-95.
- Tang BM, Eslick GD, Nowson C et al.: Use of calcium or calcium in combination with vitamin D supplementation to prevent fractures and bone loss in people aged 50 years and older: a meta-analysis. Lancet 2007; 370: 657-66.