Cerebrale venöse Thrombosen im Zusammenhang mit kombinierten oralen Kontrazeptiva (Aus der UAW-Datenbank)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 110, Heft 50, 13.12.2013
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 110, Heft 50, 13.12.2013
Der AkdÄ wurden in den vergangenen Jahren mehrere Fälle von cerebralen venösen Thrombosen (CVT) im Zusammenhang mit der Einnahme von kombinierten oralen Kontrazeptiva berichtet. CVT sind insgesamt selten und können einer frühzeitigen Diagnosestellung entgehen.
Berichtet wird über eine 17-jährige junge Frau (normalgewichtig, Nichtraucherin), die beruflich einer Bürotätigkeit nachgeht. Relevante Vorerkrankungen werden nicht angegeben, als einziges Arzneimittel nahm sie seit etwa vier Jahren ein orales Kontrazeptivum ein (Ethinylestradiol/Drospirenon) (1). In den vorangegangen sechs Monaten traten intermittierend Kopfschmerzen auf. Einmalig kam es zu einem Verwirrtheitszustand. Nachdem eine klinisch-neurologische Untersuchung zweimal einen unauffälligen Befund ergeben hatte, wurde zur weiteren Abklärung eine MRT des Kopfes durchgeführt. Diese zeigte eine fragliche Raumforderung, die sich bei einer ergänzenden MR-Angiographie als konsekutiver hämorrhagischer Infarkt im rechten Thalamus bei Thrombose der korrespondierenden Vena interna cerebri darstellte (siehe Abbildung). In einer Verlaufskontrolle wenige Tage später war zusätzlich der Sinus transversus links verschlossen. Eine ergänzende kardiologische Diagnostik ergab unauffällige Befunde, eine zusätzliche tiefe Beinvenenthrombose wurde nicht festgestellt. Die Gerinnungsdiagnostik zeigte eine heterozygote Faktor-V-Leiden-Mutation als prothrombotischen Risikofaktor. Therapeutisch wurde zunächst eine PTT-wirksame intravenöse Heparingabe begonnen und später auf subkutan verabreichtes niedermolekulares Heparin für etwa sechs Monate umgestellt.
Cerebrale venöse Thrombosen (CVT) manifestieren sich in den cerebralen Venen und Sinus, die das Blut vorwiegend in die inneren Jugularvenen drainieren. CVT sind seltener als tiefe Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien. Die Häufigkeit wird auf drei bis vier Fälle pro Million Erwachsener pro Jahr geschätzt (2). Frauen sind häufiger betroffen, da die Einnahme von oralen Kontrazeptiva mit einer etwa sechsfachen Risikoerhöhung für eine CVT einhergeht und Schwangerschaft und Wochenbett ebenfalls Risikofaktoren darstellen (3). Hereditäre Thrombophilien wie die Faktor-V-Leiden-Mutation und die Prothrombin(Faktor II)-G20210A-Mutation erhöhen das Risiko einer CVT um den Faktor drei bis sechs (4). Die Symptomatik entwickelt sich meist subakut über Tage und Wochen. Häufig berichtet werden Kopfschmerzen, Krampfanfälle, fokale neurologische Ausfälle und Bewusstseinsstörungen (5). Die Prognose der CVT ist in 80 % der Fälle gut. Ein Review aus dem Jahr 2006 hat eine Mortalität von 5,6 % in den ersten vier Wochen angegeben, die in den einzelnen Studien jedoch stark variierte (0 bis 15,2 %) (6).
Die Gabe von Kombinationspräparaten aus Ethinylestradiol und einem Gestagen (= kombinierte orale Kontrazeptiva, KOK) geht mit einem erhöhten Risiko für venöse thromboembolische Ereignisse einher. Das Risiko ist zwar insgesamt klein, aber von Relevanz aufgrund der Schwere der Erkrankung im Einzelfall wie auch aufgrund der großen Zahl gesunder Frauen, die KOK einnehmen. Bei venösen Thromboembolien werden in erster Linie tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien in Betracht gezogen, jedoch kann durch KOK auch das Risiko von seltenen Thrombosen an anderer Lokalisation wie der CVT erhöht werden (4). Im deutschen Spontanmeldesystem sind seit dem Beginn der 90er Jahre insgesamt etwa 80 Fälle von CVT im Zusammenhang mit der Einnahme von KOK erfasst worden. Im dargestellten Fallbeispiel (siehe Kasten) liegen durch die Thrombophilie und die Einnahme des KOK zwei Risikofaktoren vor, die synergistisch wirken können (7, 8).
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat sich vor dem Hintergrund jeweils aktueller Untersuchungen in der Vergangenheit mehrfach mit der Frage beschäftigt, inwieweit der unterschiedliche Gestagenanteil in KOK das thromboembolische Risiko beeinflusst. Hierzu hat die AkdÄ berichtet (9). Die Ergebnisse einer aktuellen Bewertung durch den PRAC sind in der Tabelle dargestellt (10). Bei nicht schwangeren Frauen, die kein Kontrazeptivum einnehmen, geht der PRAC von einem allgemeinen Risiko von etwa zwei venösen Thromboembolien pro 10.000 Frauen pro Jahr aus.
Das thromboembolische Risiko im Zusammenhang mit nicht oralen Darreichungsformen kombinierter Kontrazeptiva war nicht Gegenstand des aktuellen Verfahrens bei der EMA. Einige Studien weisen auf ein erhöhtes Risiko im Vergleich zur oralen Anwendung hin (11, 12). Der PRAC hat sich kürzlich zum Risiko im Zusammenhang mit Cyproteronacetat-Ethinylestradiol-haltigen Kombinationspräparaten (Diane®-35 und Generika) geäußert, die zur Behandlung bestimmter Formen der Akne indiziert sind, jedoch off-label auch zur Kontrazeption angewendet werden (13). Es wurde darauf hingewiesen, dass die Inzidenz von venösen Thromboembolien bei Anwenderinnen von Cyproteronacetat/Ethinylestradiol 1,5- bis 2-mal höher ist als bei Frauen, die Levonorgestrel-haltige KOK einnehmen. Die Anwendung wurde beschränkt auf Frauen im gebärfähigen Alter zur Behandlung der mittelschweren bis schweren androgenempfindlichen Akne und/oder Hirsutismus, wenn eine topische Therapie oder eine systemische Antibiotikabehandlung versagt haben.
Die Einnahme von kombinierten oralen Kontrazeptiva erhöht das Risiko für venöse Thromboembolien, dabei variiert das Risiko mit dem jeweiligen Gestagenanteil (siehe Tabelle). Neben tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien können sehr selten auch Thrombosen von cerebralen Venen und Sinus (CVT) auftreten, vor allem wenn gleichzeitig weitere Risikofaktoren wie z. B. eine bislang nicht diagnostizierte hereditäre Thrombophilie vorliegen. Bei Patientinnen, die ein kombiniertes orales Kontrazeptivum einnehmen und die sich mit Kopfschmerzen und neurologischen Symptomen vorstellen, sollte eine CVT in die Differenzialdiagnose einbezogen werden.
Patientinnen sollten vor der Gabe eines KOK über das Risiko einer Thromboembolie und mögliche Warnsymptome aufgeklärt werden. Bei der Verordnung sollte das individuelle Risikoprofil der Frauen für ein thromboembolisches Ereignis bedacht werden (z. B. Nikotinkonsum, Übergewicht, höheres Lebensalter, anamnestische Migräne, Familienanamnese venöser Thromboembolien). Ebenfalls in die Verordnungsentscheidung einfließen sollten aber auch die Unterschiede der einzelnen Präparate hinsichtlich der Risikoerhöhung für ein thromboembolisches Ereignis bzw. die noch nicht ausreichenden Daten für einige Präparate.