Cholezystitis im Zusammenhang mit DPP-4-Inhibitoren (Gliptine) („UAW-News International“)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 119, Heft 41, 14.10.2022

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 119, Heft 41, 14.10.2022

Zusammenfassung

In einem aktuell erschienenen systematischen Review wurde ein erhöhtes Risiko für eine Gallenblasenentzündung (Cholezystitis) unter Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibitoren (DPP-4-Inhibitoren, Gliptine) im Vergleich zu Placebo festgestellt (Odds Ratio 1,43; 95 % Konfidenzintervall [CI] 1,14–1,79) (1). Das Risiko für Gallen- und Gallengangssteine oder für andere Erkrankungen der Galle bzw. der Gallengänge war unter DPP-4-Inhibitoren nicht erhöht. In einer parallel durchgeführten Netzwerk-Metaanalyse zeigte sich ein erhöhtes Risiko für eine Gallenblasenentzündung unter DPP-4-Inhibitoren im Vergleich zu Natrium-Glukose-Cotransporter-2-(SGLT-2)-Inhibitoren, aber nicht im Vergleich zu Glucagon-like-Peptid-1-(GLP-1)-Rezeptor-Agonisten (1).

DPP-4-Inhibitoren (Gliptine)

Nach der Aufnahme von Nahrung werden die Inkretinhormone GLP-1 und Glukoseabhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) vom Dünndarm sezerniert. Dadurch wird u. a. die Insulinsekretion stimuliert und die postprandiale Glucagonfreisetzung gehemmt. Das GLP-1 wird bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus weniger gebildet. Die Hemmung der Dipeptidyl-Peptidase-4, eines Schlüsselenzyms im Abbau der Inkretinhormone, durch die DPP-4-Inhibitoren führt zu einer erhöhten Konzentration von GLP-1 und GIP sowie zu einer Abnahme der Glukagonkonzentration und zu einer erhöhten Empfindlichkeit der Betazellen der Pankreas. Ein Anstieg der Insulin- und eine Abnahme der Glukagonausschüttung mit konsekutiv niedrigerer Nüchtern-Glukosekonzentration und geringerem postprandialen Glukoseanstieg sind die Folge (2;3).

In Deutschland sind derzeit drei DPP-4-Inhibitoren auf dem Markt (Saxagliptin, Sitagliptin, Vildagliptin), die als Monopräparate oder als Fixkombination mit Metformin verfügbar sind. Sie sind zugelassen zur Behandlung des Typ-2-Diabetes als Ergänzung zu Diät und Bewegung und können als Monotherapie, orale Zwei- oder Dreifachtherapie in Kombination mit Metformin, Sulfonylharnstoffen oder Thiazolidindionen oder als Kombinationstherapie mit Insulin (mit oder ohne Metformin) eingesetzt werden (4). Trotz der Therapiehinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses, die die Verordnungsfähigkeit der DPP-4-Inhibitoren einschränken (5, 6, 7, 8, 9, 10), zeigen sich seit Jahren hohe Zuwachsraten bei den Verordnungen (11). 2021 war dies insbesondere bei Vildagliptin und Sitagliptin der Fall. Ausgehend von den verordneten definierten Tagesdosen (417,3 Mio. DDD) dürften 2021 über 1 Mio. Patienten in Deutschland mit DPP-4-Inhibitoren behandelt worden sein (11).

Ergebnisse eines systematischen Reviews und einer Netzwerk-Metaanalyse

In einem systematischen Review wurden 82 randomisierte kontrollierte Studien eingeschlossen, die DDP-4-inhibitoren mit Placebo oder anderen nicht Inkretin-mimetischen Antidiabetika verglichen hatten (1). Insgesamt 104.833 Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus waren in den Studien eingeschlossen, sie waren im Durchschnitt 59,4 Jahre alt und zu 39,7 % weiblich. Die Auswertung ergab ein signifikant erhöhtes Risiko für den zusammengesetzten Endpunkt „Erkrankung der Gallenblase oder andere biliäre Erkrankung“ unter DPP-4-Inhibitoren im Vergleich zu Placebo mit einem Odds Ratio von 1,22 (95 % CI 1,04–1,43, τ2 = 0,027). Dies entspricht einer Risikodifferenz von etwa 11 Erkrankungen mehr pro 10.000 Personenjahre im Vergleich zu Placebo. Das Risiko für eine Cholezystitis allein war im Vergleich zu Placebo signifikant erhöht (OR 1,43; 95 % CI 1,14–1,79, τ2 = 0) entsprechend 15 Erkrankungen mehr pro 10.000 Personenjahre. Das Risiko für Gallen- und Gallengangssteine oder für andere Erkrankungen der Galle bzw. der Gallengänge wie Cholangitis, Gallenkolik, Gallenfistel, Gallengangsstenose, Gallengangsobstruktion und biliäre Zysten war unter DPP-4-Inhibitoren nicht erhöht. Die signifikanten Ergebnisse zeigten sich nur unter der Langzeitgabe von DPP-4-Inhibitoren (≥ 26 Wochen), nicht aber unter einer kurzfristigen Anwendung. Auch zwischen den einzelnen DPP-4-Inhibitoren waren keine signifikanten Unterschiede zu sehen (1).

In die parallel durchgeführte Netzwerk-Metaanalyse wurden 184 Vergleichsstudien eingeschlossen, die DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptor-Agonisten oder SGLT-2-Inhibitoren miteinander oder mit anderen Antidiabetika, Placebo oder Standard Care verglichen hatten (1). Unter DPP-4-Inhibitoren zeigte sich im Vergleich zu SGLT-2-Inhibitoren ein erhöhtes Risiko für den zusammengesetzten Endpunkt „Erkrankung der Gallenblase oder andere biliäre Erkrankung“ (OR 1,32; 95 % CI 1,06–1,64) und für Cholezystitis (OR 1,55; 95 % CI 1,13–2,12). Im Vergleich zu GLP-1-Rezeptor-Agonisten zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede (1).

Es ist zu berücksichtigen, dass die eingeschlossenen Studien ursprünglich nicht dafür konzipiert waren, die Effekte von DPP-4-Inhibitoren auf die Gallenblase und die Gallengänge zu untersuchen. Zudem waren Erkrankung der Gallenblase oder andere biliäre Erkrankung keine prädefinierten Endpunkte der Studien, sodass ein Underreporting nicht ausgeschlossen werden kann.

Pathomechanismus

Es wird angenommen, dass GLP-1 und GIP gewisse Effekte auf die postprandiale Gallenblasenmotilität haben, die allerdings noch nicht genau bekannt sind. Es wurde z. B. gezeigt, dass die Gabe der GLP-1-Rezeptor-Agonisten Liraglutid und Exenatid die postprandiale Gallenblasenmotilität beeinträchtigen (12). Dauerhaft erhöhte Spiegel von GLP-1 könnten die Kontraktilität der Gallenblase vermindern und ein erhöhtes Risiko für Cholelithiasis und Cholezystitis begründen (13).

Bekannte Risiken und Nebenwirkungen der DPP-4-Inhibitoren

Sicherheitsbedenken, die nach der Zulassung der DPP-4-Inhibitoren untersucht wurden, beziehen sich vor allem auf die kardiovaskuläre Sicherheit, akute Pankreatitiden und Pankreaskarzinome, schwerwiegende Überempfindlichkeitsreaktionen sowie bullöses Pemphigoid. Deswegen wird empfohlen, Patienten über die charakteristischen Symptome einer akuten Pankreatitis zu informieren und bezüglich Hauterkrankungen hinsichtlich Blasenbildung und Ulzera zu überwachen (2;3;14).

Insbesondere die kardiovaskuläre Sicherheit der DPP-4-Inhibitoren kann noch nicht abschließend bewertet werden. Aus den beauflagten Sicherheitsstudien mit DPP-4-Inhibitoren ging hervor, dass die zusätzliche Gabe von Sitagliptin zur Standardtherapie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nicht erhöht, aber auch keine kardiovaskulären Ereignisse verhindert (15). Dagegen traten unter Saxagliptin in einer placebokontrollierten Studie signifikant mehr Fälle von Krankenhauseinweisungen wegen kardialer Dekompensation auf (16).

Empfehlung der AkdÄ

Diese ersten Ergebnisse aus einem systematischen Review und einer Netzwerk-Metaanalyse deuten auf ein mögliches Risiko für eine Cholezystitis unter DPP-4-Inhibitoren hin, insbesondere während einer Langzeitbehandlung. Das Risiko für eine Cholezystitis unter DPP-4-Inhibitoren scheint zudem im Vergleich zu SGLT-2-Inhibitoren, nicht aber im Vergleich zu GLP-1-Rezeptor-Agonisten erhöht zu sein. Allerdings war die absolute Risikodifferenz sehr niedrig. Die Gabe von DPP-4-Inhibitoren sollte daher für den einzelnen Patienten individuell abgewogen werden. Es muss dabei berücksichtigt werden, dass es weiterhin keinen wissenschaftlichen Nachweis einer Wirksamkeit von DPP-4-Inhibitoren auf patientenrelevante Endpunkte gibt.

Literatur

  1. He L, Wang J, Ping F et al.: Dipeptidyl peptidase-4 inhibitors and gallbladder or biliary disease in type 2 diabetes: systematic review and pairwise and network meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2022; 377: e068882.
  2. AstraZeneca GmbH: Fachinformation „Onglyza® 2,5 mg /5 mg Filmtabletten“. Stand: November 2021.
  3. AstraZeneca GmbH: Fachinformation „Komboglyze® 2,5 mg/850 mg und 2,5 mg/1000 mg Filmtabletten“. Stand: November 2021.
  4. Lauer-Taxe: portal.cgmlauer.cgm.com (Zugangsdaten erforderlich). Stand: 1. August 2022.
  5. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Sitagliptin/Metformin: www.g-ba.de/downloads/40–268–4132/2016–12–15_AM-RL-XII_Sitagliptin_Metformin_D-246_TrG.pdf (letzter Zugriff: 15. August 2022). Berlin, 15. Dezember 2016.
  6. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Sitagliptin: www.g-ba.de/downloads/40–268–4131/2016–12–15_AM-RL-XII_Sitagliptin_D-245_TrG.pdf (letzter Zugriff: 15. August 2022). Berlin, 15. Dezember 2016.
  7. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Saxagliptin: www.g-ba.de/downloads/40–268–4133/2016–12–15_AM-RL-XII_Saxagliptin_D-243_TrG.pdf (letzter Zugriff: 15. August 2022). Berlin, 15. Dezember 2016.
  8. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Saxagliptin/Metformin: www.g-ba.de/downloads/40–268–4134/2016–12–15_AM-RL-XII_Saxagliptin-Metformin_D-244_TrG.pdf (letzter Zugriff: 15. August 2022). Berlin, 15. Dezember 2016.
  9. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Vildagliptin/Metformin: www.g-ba.de/downloads/40–268–2524/2013–10–01_AM-RL-XII_Vildagliptin-Metformin_TrG.pdf (letzter Zugriff: 15. August 2022). Berlin, 1. Oktober 2013.
  10. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Vildagliptin: www.g-ba.de/downloads/40–268–3227/2015–05–21_AM-RL-XII_Vildagliptin_2014–12–01-D-145_TrG.pdf (letzter Zugriff: 15. August 2022). Berlin, 21. Mai 2015.
  11. Freichel M, Mengel K: Antidiabetika. In: Ludwig WD, Mühlbauer B, Seifert R (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2021. Berlin: Springer-Verlag 2021: 241–260.
  12. Gasbjerg LS, Helsted MM, Hartmann B et al.: GIP and GLP-1 receptor antagonism during a meal in healthy individuals. J Clin Endocrinol Metab 2020; 105: dgz175.
  13. Nexøe-Larsen CC, Sørensen PH et al.: Effects of liraglutide on gallbladder emptying: a randomized, placebo-controlled trial in adults with overweight or obesity. Diabetes Obes Metab 2018; 20: 2557–2564.
  14. Food and Drug Administration (FDA): Information for health care professionals – acute pancreatitis and sitagliptin (marketed as Januvia and Janumet). www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/PostmarketDrugSafetyInformationforPatientsandProviders/DrugSafetyInformationforHeathcareProfessionals/ucm183764.htm (nicht mehr verfügbar). FDA, 2009.
  15. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): Saxagliptin (Onglyza®) und Saxagliptin/Metformin (Komboglyze®) (frühe Nutzenbewertung, Neubewertung nach Ablauf der Befristung. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2017; 44: 85–88.
  16. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®) (frühe Nutzenbewertung, Neubewertung nach Ablauf der Befristung). Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2017; 44: 81–84.

Mitteilung der AkdÄ im Deutschen Ärzteblatt

Im Deutschen Ärzteblatt (Dtsch Arztebl 2022; 119(41): A-1766 / B-1474) ist der Artikel in der Rubrik Bekanntgaben der Herausgeber (Bundesärztekammer) als Mitteilung erschienen.