Gardasil® ist ein quadrivalenter Impfstoff gegen humane Papillomaviren
(HPV). Er enthält virusähnliche Partikel (virus-like
particles, VLP) der onkogenen HPV-Typen 16 und 18 sowie der
Typen 6 und 11, die für die Mehrzahl der genitalen Warzen verantwortlich
sind. Die Ständige Impfkommission am Robert
Koch-Institut (STIKO) hat 2007 die generelle Impfung gegen humane
Papillomaviren (Typen HPV 16, 18) für alle Mädchen im
Alter von 12 bis 17 Jahren empfohlen, um durch die Impfung
die Möglichkeit einer späteren Erkrankung mit Gebärmutterhalskrebs
(Zervixkarzinom) zu reduzieren. Die bisher vorliegenden
Daten, die die Wirksamkeit belegen sollen, sind jedoch im Hinblick
auf den Anteil in der weiblichen Bevölkerung, bei dem eine
therapeutische Wirksamkeit im Sinne der Verhütung eines Gebärmutterhalskrebses
zu erwarten ist, umstritten, und von einigen
Wissenschaftlern wurde eine Neubewertung der HPV-Impfung
gefordert (1). Im vergangenen Jahr hat die AkdÄ über den Fall einer
Armplexusneuritis nach Impfung mit Gardasil® berichtet (2);
aufgrund einer aktuellen Publikation soll auf demyelinisierende
Erkrankungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung
aufmerksam gemacht werden.
Sutton et al. (Mult Scler 2009; 15: 116–9) berichten über fünf
Fälle entzündlicher Erkrankungen des ZNS, die innerhalb von
28 Tagen nach Impfung mit Gardasil® aufgetreten sind und aufgrund
der atypischen beziehungsweise multifokalen Manifestationen
auffällig waren (3). Die Patientinnen waren zwischen 16
und 26 Jahre alt, und die Symptome traten ein bis 21 Tage nach
der zweiten (n = 3) oder dritten (n = 2) Impfdosis auf. Drei Patientinnen
hatten bereits zuvor erstmals klinische Symptome einer
demyelinisierenden Erkrankung im Sinne eines sogenannten klinisch-
isolierten Syndroms (KIS), sodass bei der jetzigen neuerlichen
Symptomatik eine multiple Sklerose (MS) diagnostiziert
wurde. Die beiden anderen Patientinnen zeigten nach Impfung
erstmalig neurologische Symptome, eine hat inzwischen eine
MS entwickelt. Drei der Patientinnen wiesen bei der Vorstellung
eine Monosymptomatik (Pseudoathetose des rechten Arms,
Kopfschmerzen mit nachfolgender inkompletter transverser Myelitis,
akute Hemiparese) auf, zwei hatten multifokale Symptome
(inkomplette thorakale Myelitis mit nachfolgender Optikusneurits
links, inkomplette thorakale transverse Myelitis gefolgt von
einem Hirnstammsyndrom). Bei allen bildete sich die Symptomatik
zurück, einmal spontan und viermal nach intravenöser
Gabe von Methylprednisolon.
Impfungen wurden mit einer Reihe entzündlicher Erkrankungen
des Nervensystems in Zusammenhang gebracht, hierzu
zählen die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM),
Armplexusneuritis und das Guillain-Barré-Syndrom. Das Risiko
schwerwiegender neurologischer Erkrankungen wird mit 0,1 bis
0,2 Fällen pro eine Mio. Impfungen insgesamt jedoch als extrem
gering eingeschätzt (4). Der Zusammenhang zwischen Impfungen
und dem Auftreten einer MS wurde bislang vor allem für Tetanus
und Hepatitis B untersucht, ein kausaler Zusammenhang
wurde dabei nicht bestätigt (5). Generell können Impfungen genau
wie Infektionen die fehlgeleitete Immunreaktion im Rahmen
einer MS triggern, sodass eine Auslösung von Schüben möglich
ist (6). Den chronisch entzündlichen Charakter der MS kann dies
jedoch allein nicht erklären. Die MS wird als Autoimmunerkrankung
angesehen, bei der das Zusammenspiel genetischer und umweltbedingter
Suszeptibilitätsfaktoren zusammen mit Fehlregulationen
der Immuntoleranz zur Initiierung und Chronifizierung der
Erkrankung beitragen. Immunpathologisch würden Impfungen
von daher eher als "Triggerfaktoren" betrachtet werden, jedoch
nicht im eigentlichen Sinne kausal als krankheitsauslösend beziehungsweise
-perpetuierend.
In der deutschen Datenbank zu Verdachtsfällen von Impfkomplikationen
und Impfnebenwirkungen des Paul-Ehrlich-Instituts
(PEI) sind zehn Fälle von MS im zeitlichen Zusammenhang mit
einer HPV-Impfung erfasst, davon neun nach Gardasil® und einer
nach Cervarix® (Stand Mai 2009). In fünf Fällen wurde der Kausalzusammenhang
als "unwahrscheinlich" eingestuft, viermal als
"nicht beurteilbar" und in einem Fall werden noch zusätzliche Informationen
erwartet. Ein statistisches Verfahren zur Beurteilung,
ob die Kombination aus einem Impfstoff und einer unerwünschten
Wirkung überzufällig häufig in einer Datenbank erfasst ist
(Proportional Reporting Ratio, PRR), zeigt für HPV-Impfung und
MS derzeit keinen signifikant erhöhten Wert.
Die Autoren des oben zusammengefassten Artikels weisen darauf
hin, dass es Anzeichen für ein erhöhtes Risiko für das Auslösen
von Rezidiven einer MS durch Virusinfektionen gebe. Im
Hinblick auf Impfstoffe könne das Risiko in Abhängigkeit vom
Immunogen variieren. Die virusähnlichen Partikel in HPV-Impfstoffen
binden an dendritische Zellen und induzieren einen Reifungsprozess
mit Produktion von IL-12, TNFa und IL-6, die mit
entzündlichen Reaktionen des ZNS wie Demyelinisierungen und
axonalen Schäden in Zusammenhang stehen können (7). Sie empfehlen
eine Fall-Kontroll-Studie bei Patienten mit bestehender
MS, um die Folgen einer HPV-Impfung auf den Verlauf der Erkrankung
besser zu untersuchen.
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder aus der AkdÄ-Internetpräsenz abrufbar ist. Über www.akdae.de besteht auch die Möglichkeit, einen UAW-Verdachtsfall online zu melden.
Literatur
- Gerhardus A, Dören M, Gerlach FM et al.: Gebärmutterhalskrebs: Wie wirksam ist die HPV-Impfung? Dtsch Arztebl 2009; 106: A 330–4.
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Armplexusneuritis im Zusammenhang mit Gardasil®. AkdÄ Drug Safety Mail 2008-039 vom 03. November 2008.
- Sutton I, Lahoria R, Tan I et al.: CNS demyelination and quadrivalent HPV vaccination. Mult Scler 2009; 15: 116–9.
- Nakayama T, Onoda K: Vaccine adverse events reported in post-marketing study of the Kitasato Institute from 1994 to 2004. Vaccine 2007; 25: 570–6.
- Paul-Ehrlich-Institut: Multiple Sklerose und Impfungen: www.pei.de. Sicherheitsinformation vom 09. Januar 2008.
- Sibley WA, Bamford CR, Clark K: Clinical viral infections and multiple sclerosis. Lancet 1985; 1: 1313–5.
- Lenz P, Day PM, Pang YY et al.: Papillomavirus-like particles induce acute activation of dendritic cells. J Immunol 2001; 166: 5346–55.