Die AkdÄ möchte Sie im Folgenden über Publikationen und
Meldungen aus dem internationalen Raum informieren und hofft, Ihnen damit
nützliche Hinweise auch für den Praxisalltag geben zu können.
Alemtuzumab (MabCampath®) ist ein gentechnologisch hergestellter, humanisierter
IgG-monoklonaler Antikörper (moAk), der gegen das CD52-Antigen gerichtet ist.
Dieses Antigen wird im hämatopoetischen System vorwiegend von normalen und
malignen B- und T-Lymphozyten, Monozyten/Makrophagen, nicht jedoch von
hämatopoetischen Stammzellen exprimiert. Der moAk ist seit 2001 für Patienten
zugelassen, die wegen einer chronischen lymphatischen Leukämie mit Alkylanzien
vorbehandelt wurden und bei denen nach Therapie mit Fludarabinphosphat keine
beziehungsweise nur eine kurzzeitige komplette oder partielle Remission
aufgetreten ist. Eine starke Lymphozytendepletion mit daraus resultierender
Immunsuppression und erhöhter Anfälligkeit für opportunistische Infektionen
gehört zu den sehr häufig beobachteten, unvermeidlichen pharmakologischen
Wirkungen von Alemtuzumab. Eine seltene Komplikation dieser immunsuppressiven
Wirkung wurde durch den kürzlich publizierten Fallbericht von Herbert et al. (1)
illustriert.
Eine 56-jährige Patientin mit seit zehn Jahren bekannter Mykosis fungoides
erhielt im Rahmen einer Phase-II-Studie zur Behandlung kutaner T-Zell-Lymphome
Alemtuzumab. Der klinische Zustand der Patientin verschlechterte sich zwei
Wochen nach Gabe von Alemtuzumab. Es traten Fieber und Verwirrtheit auf.
Bildgebende Verfahren (Computertomographie, Kernspintomographie des ZNS) und
serologische beziehungsweise mikrobiologische Untersuchungen, durchgeführt unter
dem Verdacht auf Sepsis, ergaben keinen pathologischen Befund. Eine empirische
Breitspektrum-Antibiotikatherapie war erfolglos. 23 Tage nach erster Gabe von
Alemtuzumab trat eine schwere, transfusionsbedürftige Anämie (Hämoglobin-Wert:
7,7 g/dl) und Retikulozytopenie (3 × 103/ml) auf mit typischen Zeichen der "pure
red cell aplasia" im Knochenmark (verminderte Erythropoese mit Nachweis so
genannter Riesen-Proerythroblasten bei normaler Granulo- und Megakaryopoese).
Kurz vor Beginn der Behandlung mit Alemtuzumab war die Erythropoese im
Knochenmark noch normal vertreten. Neben der Anämie bestand bei der Patientin
eine deutliche Lymphopenie (310/ml) mit Verminderung sowohl der CD4-positiven
als auch der CD8-positiven Subpopulationen. Im peripheren Blut fanden sich als
Hinweis für eine akute Infektion mit Parvovirus B19 IgM-Antikörper gegen
Parvovirus B19 und mittels Polymerase-Kettenreaktion konnte Parvovirus-B19-DNA
nachgewiesen werden. Eine daraufhin begonnene Gabe von hoch dosierten
intravenösen Immunglobulinen (1,5 g/kg über 4 Tage) führte nach 12 Tagen zu
einer Retikulozytose (226 × 103/ml). Gleichzeitig verbesserte sich der klinische
Zustand der Patientin, die keine Transfusionen mehr benötigte. Eine erneute
Untersuchung des Knochenmarks einen Monat später zeigte einen normalen Befund.
Die "pure red cell aplasia" ist charakterisiert durch eine schwere Anämie,
Retikulozytopenie und das Fehlen ausreifender Hämoglobin-enthaltender Vorstufen
der Erythropoese im Knochenmark. Neben einer Störung der Erythropoese durch
immunologische Mechanismen unter anderem bei lymphoproliferativen Erkrankungen,
Thymom, Kollagenosen und verschiedenen Medikamenten tritt eine erworbene "pure
red cell aplasia" auch nach Infektion mit Parvovirus B19 und selten im Rahmen
eines myelodysplastischen Syndroms auf. Während eine Infektion mit Parvovirus
B19 bei gesunden Personen meistens harmlos verläuft, kann es bei
immunsupprimierten Patienten, die aufgrund einer gestörten humoralen und/oder
zellulären Immunität das Virus nicht eliminieren können, zu einer
persistierenden Infektion und lang anhaltenden Hemmung der Erythropoese kommen.
Auch nach Gabe von Rituximab, einem gegen das CD20-Antigen auf B-lymphatischen
Zellen gerichteten moAk, sind bereits zwei gut dokumentierte Fälle von "pure red
cell aplasia" berichtet worden (2, 3). Diese Patienten hatten eine
Polychemotherapie und Rituximab zur Behandlung eines Non-Hodgkin-Lymphoms
erhalten. Sie entwickelten nach fünf Zyklen dieser Therapie eine
transfusionsbedürftige schwere Anämie infolge "pure red cell aplasia" mit
Nachweis von Parvovirus-B19-DNA im Knochenmark beziehungsweise peripheren Blut.
Bei beiden Patienten führte die hoch dosierte Gabe intravenöser Immunglobuline
zu einem raschen Anstieg der Retikulozyten und des Hämoglobin-Wertes.
Die AkdÄ weist auf der Basis dieser Beobachtungen darauf hin, dass bei
Patienten, die unter Therapie mit moAk wie Alemtuzumab oder Rituximab eine
schwere, transfusionsbedürftige Anämie entwickeln, auch an eine "pure red cell
aplasia" infolge Parvovirus-B19-Infektion gedacht werden sollte. Diese Diagnose
kann durch den Nachweis von Parvovirus-B19-DNA mittels PCR, erniedrigten
Retikulozyten-Werten, charakteristischen morphologischen Befunden im Knochenmark
und bei intakter humoraler Immunität durch IgM-Antikörper gegen Parvovirus B19
gesichert werden. Die Zufuhr neutralisierender Antikörper gegen Parvovirus B19
durch hoch dosierte Gabe von intravenösen Immunglobulinen ist eine wirksame
Therapie der "pure red cell aplasia", muss jedoch bei weiter bestehender Störung
der humoralen und/oder zellulären Immunität regelmäßig wiederholt werden.
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle)
mit. Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im Deutschen Ärzteblatt auf
der vorletzten Seite abgedruckten Berichtsbogen verwenden oder diesen unter der
AkdÄ-Internetpräsenz www.akdae.de abrufen.
Literatur
1. Herbert KE, Prince HM, Westerman DA: Pure red-cell-aplasia due to parvovirus
B19 infection in a patient treated with alemtuzumab. Blood 2003; 101: 1654.
2. Sharma VR, Fleming DR, Slone DP: Pure red cell aplasia due to parvovirus B19
in a patient treated with rituximab. Blood 2000; 96: 1184-1186.
3. Song KW, Mollee P, Patterson B, Brien W, Crump M: Pure red cell aplasia due
to parvovirus following treatment with CHOP and rituximab for B-cell lymphoma.
Br J Haemotol 2002; 119: 125-127.
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