Induktion und/oder Demaskierung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen unter Secukinumab („Aus der UAW-Datenbank“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 115, Heft 14, 06.04.2018
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 115, Heft 14, 06.04.2018
Secukinumab ist ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper, der selektiv an das proinflammatorisch wirkende Interleukin-
17A (IL-17A) bindet und es neutralisiert. Dadurch werden weniger Zytokine, Chemokine und Mediatoren der Gewebsschädigung
ausgeschüttet und so der Beitrag von IL-17A zur Entstehung von Autoimmunkrankheiten und entzündlichen Erkrankungen
reduziert (1). Neben Secukinumab sind in Deutschland derzeit zwei weitere Antikörper auf dem Markt, die über IL-17A wirken: Ixekizumab (Taltz®) und Brodalumab (Kyntheum®), wobei letzteres den Interleukin-17A-Rezeptor blockiert (2;3).
Secukinumab ist zugelassen für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis
und kann darüber hinaus bei aktiver Psoriasis-Arthritis allein oder in Kombination mit Methotrexat (MTX) eingesetzt werden, wenn krankheitsmodifizierende Antirheumatika (DMARDs) versagen. Es ist außerdem zugelassen bei Patienten mit aktiver ankylosierender Spondylitis, die auf eine konventionelle Therapie unzureichend angesprochen haben.
Je nach Indikation erhalten die Patienten als Startdosis über fünf Wochen einmal wöchentlich subkutan 300 mg (Psoriasis,
Psoriasis-Arthritis) oder 150 mg (ankylosierende Spondylitis) gefolgt von der gleichen Menge als monatliche Erhaltungsdosis.
Die häufigsten Nebenwirkungen in klinischen Studien waren Infektionen der oberen Atemwege (am häufigsten Nasopharyngitis,
Rhinitis) (1). Darüber hinaus wurde eine Zunahme von mukosalen oder kutanen Candidosen verzeichnet. Die Fachinformation
weist außerdem auf Neutropenien unterschiedlicher Schweregrade und seltene Fälle von anaphylaktischen Reaktionen hin.
Der AkdÄ wurde der Fall eines 29-jährigen adipösen Patienten berichtet (BMI 34,7), der seit November 2016 wegen einer Psoriasis mit Secukinumab behandelt wurde. Anamnestisch bestand eine Rauchervorgeschichte (15 Packungsjahre) und eine Steatosis hepatis sowie eine Hypertonie, die mit Valsartan/HCT 160 mg / 25 mg täglich behandelt wurde. Vor Secukinumab war die Psoriasis mit Fumarsäure behandelt worden. Im Januar 2017 kam es zu blutigen Durchfällen mit rezidiverenden krampfartigen Bauchschmerzen. Eine ambulante Stuhldiagnostik ergab keinen Hinweis auf eine infektiöse Genese. Secukinumab wurde wegen der Beschwerden im Februar abgesetzt. Wegen fortbestehender Durchfälle, zunehender Verschlechterung des Allgemeinzustands und Gewichtsverlust wurde der Patient Anfang März stationär aufgenommen. Laborchemisch zeigte sich eine Entzündungskonstellation mit erhöhtem CRP und deutlicher Leukozytose sowie eine leichte Thrombozytose und eine mikrozytäre Anämie, die auf einen blutungsbedingten Eisenmangel zurückgeführt wurde. Eine Koloskopie ergab den Befund einer schweren Pankolitis ohne Beteiligung des terminalen Ileums. Histologisch handelte es sich um eine hochfloride ulzeröse Kolitis mit Kryptenabszessen ohne eindeutige Granulombildung, sodass der Verdacht auf eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung
(CED) gestellt wurde, eher einer Colitis ulcerosa als einem Morbus Crohn entsprechend. Der Patient konnte sich auf Nachfrage
an mehrere Phasen mit Durchfällen ohne Blutbeimengungen in der Vergangenheit erinnern. Die meldenden Ärzte sind daher von
der Demaskierung einer vorbestehenden CED ausgegangen. Es wurde eine Prednisolon-Stoßtherapie mit initial 70 mg pro Tag eingeleitet, unter der es rasch zu einer deutlichen Besserung der blutigen Durchfälle kam. Bei einer ambulanten Wiedervorstellung des Patienten etwa sechs Wochen später wurde der Patient unter einer aktuellen Prednisolon-Dosis von 15 mg pro Tag in Absprache mit den behandelnden Dermatologen auf eine Behandlung mit Adalimumab eingestellt.
In der Fachinformation wird darauf hingewiesen, dass in klinischen Studien unter Secukinumab (seltener unter Placebo) Exazerbationen eines Morbus Crohn beobachtet wurden (1). Die Verschreibung bei Patienten mit vorbekanntem M. Crohn soll daher
engmaschig überwacht werden. Dieses Risiko ist aufgrund des gemeinsamen Wirkmechanismus als Gruppeneffekt anzusehen,
der auch für Ixekizumab und Brodalumab zutrifft (2;3).
Der oben beschriebene Fall sowie weitere Spontanmeldungen deuten aber darauf hin, dass es unter Secukinumab neben der
Verschlechterung eines vorbestehenden M. Crohn auch zur „Demaskierung“ einer bislang klinisch inapparent verlaufenden CED
kommen kann. Die „Maskierung“ einer CED kann beispielsweise bedingt sein durch die Vorbehandlung mit einem anderen Immunsuppressivum vor der Behandlung mit Secukinumab. In einer anderen Fallmeldung an die AkdÄ wird die Erstmanifestation
eines M. Crohn unter Secukinumab bei einer Patientin mit Morbus Bechterew beschrieben. Möglicherweise hat in diesem Fall die Vorbehandlung des M. Bechterew mit dem TNF-Blocker Golimumab (Simponi®) einen bereits bestehenden M. Crohn mitbehandelt
und so „maskiert“. Ob die Neutralisierung von IL-17A mittels Secukinumab eine CED bei einem diesbezüglich zuvor gesunden Patienten auch induzieren kann, ist derzeit unklar. In der Fachinformation von Ixekizumab wird darauf hingewiesen, dass auch Neuerkrankungen von M. Crohn beobachtet wurden (3).
IL-17 wird u. a. von einem speziellen Typ der T-Helferzellen (Th17-Zellen) gebildet, einer Untergruppe der CD4-Lymphozyten.
Es spielt eine wichtige Rolle bei Immunreaktionen gegen Bakterien und Pilze an Körpergrenzflächen und steht in Zusammenhang
mit der Entstehung verschiedener Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, der Psoriasis, der ankylosierenden
Spondylitis (M. Bechterew) und der CED. Die derzeit verfügbaren Antikörper gegen IL-17 (Secukinumab, Ixekizumab, Brodalumab) zeigen eine gute Wirksamkeit gegen Psoriasis und Psoriasis-Arthritis (4–6). Demgegenüber konnte in klinischen Studien jedoch keine Wirksamkeit von Secukinumab und Brodalumab bei M. Crohn festgestellt werden, vielmehr kam es teilweise zu gravierenden Krankheitsverschlechterungen (7;8). Passend dazu sind Tierstudien, in denen sich im Mausmodell durch Blockade von IL-17 eine Kolitis verschlimmerte (9). Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass ohne IL-17 die Barrierefunktion der Schleimhaut im Darm geschwächt wird und es zu einer verstärkten Entzündungsreaktion kommt (10).
Die Bewertung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Anti-IL-17A-Antikörpern und einer Verschlechterung oder fraglichen
Erstmanifestation einer CED wird dadurch erschwert, dass Patienten mit einer Psoriasis per se ein höheres Risiko sowohl für M. Crohn als auch für Colitis ulcerosa als die Normalbevölkerung aufweisen (11;12). Das Risiko für eine CED korreliert dabei mit dem Schweregrad der Psoriasis – und Anti-IL-17A-Antikörper werden aufgrund ihrer Zulassung vor allem bei schweren Verlaufsformen eingesetzt.
Die bislang vorliegenden Daten zu Anti-IL-17A-Antikörpern und der Verschlechterung bzw. dem erstmaligen Auftreten einer CED sind begrenzt und erlauben noch keine abschließende Beurteilung. Dennoch sind die biologische Plausibilität, Ergebnisse aus Tierversuchen sowie die Fallberichte aus klinischen Studien und dem Spontanmeldesystem ein klares Signal für einen möglichen
Kausalzusammenhang. Ärzte können zum Erkenntnisgewinn beitragen, indem sie entsprechende Verdachtsfälle an die AkdÄ melden.
Daten aus vorklinischen und klinischen Studien sowie Einzelfälle, die der AkdÄ berichtet wurden, sprechen für einen Zusammenhang zwischen der Gabe des Anti-IL-17A-Antikörpers Secukinumab (Cosentyx®) und der Verschlechterung einer bereits
vorbestehenden oder möglicherweise auch der Erstmanifestation einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED). Aufgrund
des ähnlichen Wirkmechanismus handelt es sich wahrscheinlich um einen Gruppeneffekt, der auch für Ixekizumab (Taltz®) und Brodalumab (Kyntheum®) zutrifft. Das Risiko liegt dabei nach Auswertung von Daten zu Ixekizumab vermutlich bei unter 1 % (13). Im Vergleich zur Normalbevölkerung haben Patienten mit einer Psoriasis per se ein höheres Risiko sowohl für M. Crohn als auch für Colitis ulcerosa. Bei einer bekannten, vorbestehenden CED sollte eine Behandlung mit einem Anti-IL-17A-Antikörper nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung im Einzelfall erfolgen und dann engmaschig überwacht werden. Laut Fachinformation ist Brodalumab bei aktivem M. Crohn explizit kontraindiziert (2).
Patienten sollten vor Behandlung mit einem Anti-IL-17A-Antikörper über das Risiko aufgeklärt und gezielt nach Symptomen
einer CED befragt werden (chronisch-rezidivierende Bauchschmerzen und Durchfälle). Wenn der Verdacht auf eine bislang
nicht diagnostizierte CED besteht, empfiehlt sich eine entsprechende Diagnostik vor der Gabe eines Anti-IL-17A-Antikörpers.
Kommt es unter Behandlung zu verdächtigen Symptomen, sollte rasch eine Diagnostik eingeleitet werden. Um weitere Informationen zu diesen Nebenwirkungen zu erhalten, sollten Verdachtsfälle an die AkdÄ gemeldet werden.
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im Deutschen Ärzteblatt auf der vorletzten Umschlagseite abgedruckten Berichtsbogen verwenden oder diesen
unter der AkdÄ-Internetpräsenz abrufen.