Information für Ärzte zur Verordnung von Lenalidomid- und Thalidomid-haltigen Arzneimitteln (Mitteilung)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 106, Heft 5, 30.01.2009

Im Rahmen eines zentralen Verfahrens erhielten im Juni 2007 das Lenalidomid-haltige Fertigarzneimittel Revlimid® und im April 2008 das Thalidomid-haltige Fertigarzneimittel Thalidomid Pharmion eine Zulassung in der Europäischen Union zur Behandlung des multiplen Myeloms. Thalidomid Pharmion wurde in Kombination mit Melphalan und Prednison zugelassen zur Erstlinientherapie bei Patienten, die nicht für eine hoch dosierte Chemotherapie infrage kommen. Revlimid® ist in Kombination mit Dexamethason indiziert bei Patienten, die mindestens eine vorausgegangene Therapie erhalten haben (Zweitlinientherapie) (1, 2). Lenalidomid und Thalidomid werden aufgrund ihrer antiinflammatorischen, immunmodulatorischen und antiangiogenen Effekte darüber hinaus bei weiteren, nicht zugelassenen Indikationen angewendet (off-label use). Beim off-label use der beiden Wirkstoffe, der häufig auf ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert, kommt es zu einer Exposition von Patientengruppen, bei welchen das teratogene Potenzial des Arzneimittels und weitere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) in besonderer Weise zu beachten sind.

Daher muss vor allem wegen der teratogenen Wirkung von Thalidomid, die in den 50er- und 60er-Jahren zu der Contergan-Katastrophe geführt hat, die Einhaltung höchstmöglicher Sicherheitsvorkehrungen bei der Anwendung gewährleistet sein. Ohne wirksame Maßnahmen zur Verhinderung von Missbildungen bei Neugeborenen ist der Einsatz von Thalidomid-haltigen Arzneimitteln medizinisch nicht vertretbar und das Inverkehrbringen arzneimittelrechtlich als bedenklich anzusehen. Für das strukturverwandte Lenalidomid wurden in einer derzeit noch laufenden embryofetalen Entwicklungsstudie bei Affen, deren endgültige Ergebnisse für März 2009 erwartet werden, ebenfalls teratogene Eigenschaften nachgewiesen. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass Lenalidomid bei Menschen vergleichbare teratogene Wirkungen wie Thalidomid aufweist (3, 4).

Zusätzliche bedeutsame UAW einer Therapie mit Thalidomid sind thromboembolische Ereignisse, periphere Neuropathien, Synkopen/Bradykardien, Hautreaktionen und Somnolenz. Patienten müssen über diese UAW aufgeklärt und hinsichtlich ihres Auftretens überwacht werden. Bei Patienten mit weiteren Risikofaktoren für Thromboembolien bzw. gleichzeitiger Behandlung mit Corticosteroiden, Zytostatika und/oder erythropoesestimulierenden Wirkstoffen sollte eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden (5). Periphere Neuropathien machen in Abhängigkeit von ihrem Schweregrad Reduktionen der Dosierung bis hin zum Abbruch der Behandlung notwendig. Um die Auswirkungen der Somnolenz zu reduzieren, empfiehlt sich die Einnahme von Thalidomid vor dem Schlafengehen (1).

Unter Therapie mit Lenalidomid werden neben thromboembolischen Ereignissen (Empfehlung zur Thromboembolieprophylaxe siehe Thalidomid) und peripheren Neuropathien vor allem Neutro- und Thrombozytopenien, Hypothyreosen und das Auftreten eines Tumorlysesyndroms beobachtet. Neben regelmäßigen Blutbildkontrollen sollte daher eine Überwachung der Schilddrüsenparameter in Betracht gezogen werden (2).

Vor allem aufgrund der teratogenen Eigenschaften wurden die Mitgliedstaaten mit den Zulassungsentscheidungen der EU-Kommission für Thalidomid Pharmion und Revlimid® verpflichtet, die Einhaltung entsprechender Auflagen für ein Sicherheitskonzept in ihrem Zuständigkeitsbereich zu gewährleisten. Diese Auflagen wurden durch eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) und der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) umgesetzt, die am 8. Februar 2009 in Kraft tritt (6). Wegen des jeweils stoffgebundenen Risikos erstreckt sich die Änderungsverordnung nicht nur auf die beiden genannten Fertigarzneimittel, sondern auch auf entsprechende Rezepturarzneimittel von Thalidomid.

Die bei der Anwendung Lenalidomid- und Thalidomid-haltiger Arzneimittel geltenden Anforderungen hinsichtlich der Sicherheit und die Vorschriften für die ärztliche Verschreibung werden im Folgenden dargestellt. Eine offizielle Bekanntmachung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu diesem Thema findet man auf der Hompage der Bundesoberbehörde (7).

Sicherheitsanforderungen

Die Therapie mit Lenalidomid- und Thalidomid-haltigen Arzneimitteln darf nur von Ärzten eingeleitet und beaufsichtigt werden, die Erfahrung in der Anwendung von immunmodulatorischen oder chemotherapeutischen Wirkstoffen haben und denen die Risiken einer Lenalidomid- und Thalidomid-Behandlung sowie die notwendigen Kontrollmaßnahmen in vollem Umfang bekannt sind. Dies gilt selbstverständlich auch bei der Anwendung außerhalb der zugelassenen Indikationen.

Die Patienten müssen über die folgenden Punkte aufgeklärt werden:

  • Risiken der Behandlung mit Lenalidomid bzw. Thalidomid, insbesondere hinsichtlich des teratogenen Potenzials
  • keinesfalls Ab- oder Weitergabe Lenalidomid- bzw. Thalidomid-haltiger Arzneimittel an andere Personen, alle nicht eingenommenen Kapseln müssen nach Abschluss der Behandlung an den Apotheker zurückgegeben werden
  • keine Blut- oder Samenspende während und mindestens bis eine Woche nach Abschluss der Behandlung.

Den Patienten müssen vor Beginn der Behandlung medizinische Informationsmaterialien ausgehändigt werden. Diese umfassen die Informationsbroschüre für Patienten, den Aufklärungsbogen, die Checkliste, den Behandlungsausweis ("Therapiepass") sowie die aktuelle Gebrauchsinformation für Patienten (Packungsbeilage). Die Informationsmaterialien werden vom pharmazeutischen Hersteller zur Verfügung gestellt (Celgene GmbH München, www.celgene.de).

Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist Lenalidomid bzw. Thalidomid kontraindiziert, es sei denn, alle Anforderungen des Schwangerschafts-Präventionsprogramms werden erfüllt. Details sind in der Bekanntmachung des BfArM vom 8. Dezember 2008 sowie in den Fachinformationen nachzulesen (1, 2, 7). Da Thalidomid und Lenalidomid in die Samenflüssigkeit übertreten, sind auch männliche Patienten in das Schwangerschafts-Präventionsprogramm einbezogen. Zu den Anforderungen zählt u. a. ein grundlegendes Verständnis der Patienten für die Risiken der Therapie und die erforderlichen Maßnahmen, die Anwendung einer zuverlässigen Verhütungsmethode für die gesamte Dauer der Behandlung und für vier Wochen nach Beendigung der Therapie sowie die Durchführung regelmäßiger Schwangerschaftstests.

Ärztliche Verschreibung (T-Rezept)

Ab dem 8. Februar 2009 dürfen Ärzte Lenalidomid- und Thalidomid-haltige Arzneimittel nur noch auf einem nummerierten zweiteiligen amtlichen Vordruck des BfArM verordnen. Das Original erhält wie bei einer normalen Verordnung die jeweilige Krankenkasse. Der Durchschlag, auf dem die Patientendaten geschwärzt sind, wird von der Apotheke vierteljährlich an das BfArM weitergeleitet. Dieses sogenannte T-Rezept ist derzeit ausschließlich zur Verordnung der o. g. Arzneimittel vorgesehen. Arzneimittel mit anderen Wirkstoffen, auch solche mit teratogenem Potenzial, dürfen derzeit auf dem T-Rezept nicht verordnet werden.

Auf dem T-Rezept muss die verschreibende ärztliche Person die Einhaltung der notwendigen Sicherheitsvorschriften der verordneten Fertig- oder Rezepturarzneimittel bestätigen. Zu diesen Vorschriften zählt insbesondere, dass ein Schwangerschafts-Präventionsprogramm durchgeführt wird und dass dem Patienten geeignete medizinische Informationsmaterialien und die aktuelle Gebrauchsinformation des entsprechenden Fertigarzneimittels ausgehändigt werden. Darüber hinaus muss auf dem Vordruck angeben werden, ob die Behandlung mit dem Arzneimittel innerhalb (in-label) oder außerhalb (off-label) der zugelassenen Anwendungsgebiete erfolgt.

Die Höchstmenge der auf dem T-Rezept verordneten Arzneimittel darf den Bedarf für zwölf Wochen nicht übersteigen, für Frauen im gebärfähigen Alter darf der Bedarf von vier Wochen nicht überschritten werden. Die Gültigkeit entsprechender Verschreibungen endet am sechsten Tag nach dem Ausstellungsdatum.

Auch für Privatpatienten muss das T-Rezept benutzt werden. Die verordnende ärztliche Person beschriftet das T-Rezept handschriftlich als PKV-Rezept und lässt das Krankenkassenfeld frei. Auch beim Privatrezept muss der Durchschlag an das BfArM gesandt werden. Das Original erhält der Patient zur Abrechnung mit seiner privaten Krankenkasse.

Die Sonderrezepte müssen beim BfArM angefordert werden. Analog zu den Betäubungsmittelrezepten ist nur eine Anforderung der verordnenden ärztlichen Person für sich persönlich möglich. Eine Übertragung der Rezepte auch innerhalb von Abteilungen ist nicht zulässig. Sammelbestellungen, z. B. für eine Praxis oder Klinikambulanz, sind nicht möglich. Anforderungsformulare erhalten Sie auf der Website des BfArM (www.bfarm.de). Auf den Formularen muss bestätigt werden, dass:

  • die medizinischen Informationsmaterialien zu Lenalidomid und Thalidomid gemäß den aktuellen Fachinformationen entsprechender Fertigarzneimittel vorliegen
  • bei der Verschreibung dieser Arzneimittel alle Sicherheitsmaßnahmen gemäß den aktuellen Fachinformationen eingehalten werden
  • der Arzt über ausreichende Sachkenntnis zur Verschreibung dieser Arzneimittel verfügt.

Dem Antrag muss eine amtlich beglaubigte Kopie der Approbationsurkunde beigefügt werden. Das Datum der Beglaubigung darf nicht älter als drei Monate sein. Ärzte, die zur Anforderung von Betäubungsmittelrezepten bereits eine Kopie ihrer Approbationsurkunde beim BfArM vorgelegt haben, müssen diese nicht erneut einreichen.

Literatur

  1. Pharmion Ltd: Fachinformation "Thalidomide Pharmion 50 mg Hartkapseln". Stand: April 2008.
  2. Celgene Europe Limited: Fachinformation "Revlimid® Hartkapseln". Stand: August 2008.
  3. Celgene GmbH: Wichtige Informationen zur Arzneimittelsicherheit von Revlimid® Hartkapseln (Lenalidomid): www.akdae.de/20/40/Archiv/2008/20080626.pdf vom Juni 2008.
  4. Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, Commission on Human Medicines: Lenalidomide and thalidomide for multiple myeloma. Drug Safety Update 2008; 2: 6–7.
  5. Palumbo A, Rajkumar SV, Dimopoulos MA et al.: Prevention of thalidomide- and lenalidomide-associated thrombosis in myeloma. Leukemia 2008; 22: 414–23. MEDLINE
  6. Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung und der Apothekenbetriebsordnung vom 02. Dezember 2008. Bundesgesetzblatt 2008; Teil I Nr. 55: 2338–9.
  7. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Bekanntmachung zu Lenalidomid- und Thalidomid-haltigen Arzneimitteln: www.bfarm.de. 8. Dezember 2008.