Kann Metamizol die Wirkung von ASS auf die Thrombozytenaggregation behindern? – hinsichtlich klinischer Relevanz und Empfehlungen für die Praxis bleiben Fragen offen („UAW-News International“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 115, Heft 18, 04.05.2018
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 115, Heft 18, 04.05.2018
Metamizol ist mit fast 23 Mio. Verordnungen im Jahr 2016 eines der am häufigsten verordneten Arzneimittel in Deutschland – mit weiter steigender Tendenz (1). Es ist indiziert bei akuten starken Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen sowie bei Koliken und Tumorschmerzen. Für andere starke Schmerzen (akut oder chronisch) oder bei hohem Fieber sollte Metamizol nur eingesetzt werden, wenn andere therapeutische Maßnahmen entweder nicht indiziert sind oder nicht wirksam waren (2). Auch die Anwendung bei leichten oder mittelstarken Schmerzen entspricht nicht den zugelassenen Indikationen (3).
Zu den bekannten Nebenwirkungen von Metamizol gehören die Agranulozytose und schwere Blutdruckabfälle bei parenteraler
Anwendung. Im Jahr 2014 wurde in die Fachinformation aufgenommen, dass Metamizol bei gleichzeitiger Anwendung die Wirkung von Acetylsalicylsäure (ASS) auf die Thrombozytenaggregation vermindern kann. Es wird daher empfohlen, Metamizol mit Vorsicht anzuwenden bei Patienten, die ASS in niedriger Dosierung zur Kardioprotektion einnehmen. Was bedeuten diese potenzielle Interaktion und die daraus resultierende aktuelle Empfehlung für die ärztliche Praxis?
ASS hemmt irreversibel die Cyclooxygenase-1 (COX-1) in Thrombozyten. Die Bildung von Thromboxan A2 aus Arachidonsäure wird so unterdrückt und die Thrombozytenaggreagtion gehemmt. Die Wirkung von ASS hält über die gesamte Lebensdauer eines Thrombozyten von 5 bis 12 Tagen an. Von einigen NSAR wie Ibuprofen, Indometacin und Naproxen ist bekannt, dass sie mit ASS um die Bindung an die COX-1 konkurrieren und so die ASS-Wirkung auf die Thrombozytenaggreagtion behindern können (4–8). Die Schutzwirkung von ASS (325 mg jeden zweiten Tag) vor einem Herzinfarkt war zum Beispiel in der Physicians Health Study komplett aufgehoben bei Patienten, die an mehr als 60 Tagen pro Jahr ein nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR) eingenommen hatten (9).
In-vitro-Untersuchungen konnten 2008 erstmals zeigen, dass auch Metamizol bzw. seine aktiven Metabolite die hemmende Wirkung von ASS auf die Thrombozytenaggregation aufheben können (10). Dieser Befund war überraschend, da Metamizol vermutlich über einen anderen Mechanismus als NSAR die Cyclooxygenasen hemmt (11).
Untersuchungen an einer kleinen Kohorte von Patienten mit koronarer Herzkrankeit zeigten später, dass bei einer Komedikation von ASS und Metamizol bei 50 % der Patienten wieder Thromboxan A2 gebildet wird und die Thrombozytenaggregation ähnlich ausgeprägt ist wie bei Patienten, die kein ASS erhielten (12). Diese Effekte von Metamizol auf die Wirkung von ASS waren dosisabhängig und reversibel, und bei Einnahme von ASS 30 Minuten vor der Einnahme von Metamizol blieb die Hemmung der Thrombozytenaggregation durch ASS erhalten (13). Eine weitere Beobachtungsstudie an derselben Kohorte von KHK-Patienten (n = 72) wurde durchgeführt, um die klinische Relevanz der Interaktion zu untersuchen (14). Die Patienten wurden mit ASS 100 oder ASS 100 plus Metamizol wegen chronischer Schmerzen behandelt. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 3,2 Jahren trat der kombinierte Endpunkt aus Herzinfarkt, Schlaganfall und Tod aus kardiovaskulärer Ursache signifikant häufiger in der mit ASS plus Metamizol behandelten Gruppe auf: 11/36 vs. 24/36, Odds Ratio 4,5 (95 % Konfidenzintervall [CI] 1,7–12,3), p = 0,0028. Allerdings weist diese Untersuchung neben der kleinen Patientenzahl methodische Schwächen auf: Es wurde kein Matching der Patienten bzw. eine Adjustierung hinsichtlich Risikofaktoren vorgenommen und es gibt Hinweise auf Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich der Schwere der kardialen Erkrankung (linksventrikuläre Funktion, Herzinfarkt in der Vorgeschichte, Einnahme von ACE-Hemmern bzw. Sartanen). Dies könnte zum unterschiedlichen Outcome in den beiden Gruppen beigetragen haben. Zudem erhielten in beiden Gruppen jeweils drei Viertel der Patienten nicht nur ASS 100, sondern eine duale Thrombozytenaggregationshemmung.
In eine weitere, prospektive Beobachtungsstudie über drei Monate wurden 41 Patienten mit stattgehabtem ischämischen Schlaganfall eingeschlossen (15). Diese wurden ebenfalls entweder mit ASS 100 oder ASS 100 plus Metamizol behandelt. 14 von 21 Patienten aus der ASS-plus-Metamizol-Gruppe zeigten in Thrombozytenfunktionstests eine persistierende Thrombozytenaggregation im Sinne eines gestörten Ansprechens auf ASS. Zusätzlich war in dieser Gruppe die Anzahl von Patienten verringert, die eine sehr gute Erholung von neurologischen Defiziten aufwiesen (modifizierte Rankin Skala < 2): 16/20 vs. 10/21, Odds Ratio 4,4 (95 % CI 1,1–17,7), p = 0,037. Jedoch ist auch die Aussagekraft dieser Studie aufgrund des Designs und der geringen Patientenzahl eingeschränkt.
Zwei andere Untersuchungen konnten keine Wechselwirkung zwischen ASS und Metamizol nachweisen: Eine kleine, einfach verblindete, randomisierte kontrollierte Studie an 43 KHK-Patienten nach einer Bypassoperation zeigte keinen Einfluss von intravenös verabreichtem Metamizol auf die ASS-Wirkung an Thrombozyten, wenn eine Aufsättigungsdosis von 300 mg ASS vor Erstgabe von Metamizol verabreicht wurde (16). Jedoch bleibt unklar, in welcher Reihenfolge und in welchem zeitlichen Abstand an den darauffolgenden sechs Studientagen die tägliche Gabe von ASS und Metamizol erfolgte. In einer anderen Studie wurde zehn gesunden Probanden zunächst an drei Tagen 100 mg ASS täglich verabreicht und an Tag 4 und 5 zusätzlich 3 mal 1 g Metamizol. Eine Beeinflussung der Wirkung von ASS durch Metamizol konnte bei diesem Vorgehen nicht festgestellt werden (17).
Einige experimentelle Untersuchungen sowie einzelne Beobachtungsstudien an Patienten legen nahe, dass Metamizol bei gleichzeitiger Anwendung die Wirkung von niedrig dosierter ASS auf die Thrombozytenaggregation vermindern kann. Ein Hinweis auf diese potenzielle Interaktion wurde 2014 in die Fachinformation von Metamizol aufgenommen. Jedoch bestätigen nicht alle Untersuchungen diese Interaktion eindeutig und die bislang verfügbaren unkontrollierten Studien zur klinischen Relevanz beruhen auf sehr kleinen Patientenzahlen und lassen noch keine abschließenden Empfehlungen zu.
Aufgrund des breiten Einsatzes sowohl von niedrig dosierter ASS als auch von Metamizol wäre von einer großen Zahl potenziell betroffener Patienten auszugehen. Bei kardiovaskulären und zerebrovaskulären Vorerkrankungen existieren zudem Kontraindikationen bzw. Warnhinweise für mögliche Alternativen zur medikamentösen Schmerztherapie wie Diclofenac oder Ibuprofen. Dies führt gerade bei Patienten mit chronischen Schmerzen, die aufgrund solcher Vorerkrankungen ASS 100 einnehmen, zum Einsatz von Metamizol.
Bei der Verordnung von Metamizol sollten sich Ärzte bewusst sein, dass es Hinweise auf eine potenzielle Wechselwirkung mit niedrig dosiertem ASS 100 gibt. Dies gilt vor allem für den Einsatz dieser Kombination bei Patienten mit einem hohen Risiko für kardio- oder zerebrovaskuäre Ereignisse. Die Indikation für Metamizol sollte kritisch anhand der Fachinformation geprüft werden und die niedrigste wirksame Dosis für den kürzest möglichen Zeitraum verordnet werden. Um seine hemmende Wirkung auf die Thrombozytenaggregation voll entfalten zu können, braucht ASS 100 einen zeitlichen Vorsprung vor der Einnahme anderer COX-Hemmer oder von Metamizol. Wenn ein Patient Metamizol und ASS 100 gleichzeitig anwendet, sollte ASS immer mindestens 30 Minuten vor Metamizol eingenommen werden. Es ist jedoch unklar, ob und wieweit ein solches Vorgehen potenzielle Interaktionen bei einer längerfristigen Einnahme verhindern kann (18).
Aus Sicht der AkdÄ müssen zur potenziellen Interaktion von Metamizol und ASS dringend weitere klinische Studien mit größeren Patientenzahlen sowie ggf. pharmakoepidemiologische Untersuchungen durchgeführt werden, damit die klinische Relevanz besser eingeschätzt werden kann und evidenzbasierte Empfehlungen für eine sichere Behandlung von Patienten abgeleitet werden können.
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