Methämoglobinämie nach Überdosierung von Emla®-Creme bei einem Säugling („Aus Fehlern lernen“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 117, Heft 19, 08.05.2020
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 117, Heft 19, 08.05.2020
Der AkdÄ wurde der Fall eines sieben Monate alten Jungen gemeldet, bei dem vier Wochen zuvor ambulant eine Zirkumzision durchgeführt worden war. Die postoperative Wundpflege erfolgte zunächst mit Panthenol. Als dieses aufgebraucht war, trugen die Eltern bei jedem Windelwechsel Emla®-Creme auf. Diese war vor der Operation verschrieben worden (30 g Tube) und noch in der Familie vorrätig. Nach zwei Tagen entwickelte der kleine Patient eine Zyanose. Ursächlich war eine Methämoglobinämie mit einem Met-Hb-Anteil von 25,2 % (Referenzbereich 0,0–1,5 %). Die Sauerstoffsättigung betrug minimal 73 %. Dabei ist zu beachten, dass die O2-Sättigungswerte bei Methämoglobinämie mit Vorsicht interpretiert werden sollten (siehe unten). Auf der Intensivstation wurde Sauerstoff verabreicht, worunter die Sauerstoffsättigung anstieg und im Verlauf auch ohne Sauerstoffgabe stabil blieb. Die Entlassung erfolgte am Folgetag in gutem Zustand.
Emla®(1) ist ein eutektisches Gemisch, das die Lokalanästhetika Lidocain und Prilocain enthält (Eutectic Mixture of Local Anaestetics, EMLA) (2). Die eutektische Mischung hat einen niedrigeren Schmelzpunkt (18 °C) als die Reinstoffe (Lidocain 67 °C; Prilocain 37 °C). Das Gemisch liegt bei Raumtemperatur daher als lipophile Flüssigkeit vor, wodurch die Resorption verbessert wird (3;4). Lidocain- und Prilocain-haltige Cremes (LP-Cremes) werden angewendet zur Oberflächenanästhesie der Haut bei verschiedenen Eingriffen. Methämoglobinämie wird in der Fachinformation als seltene Nebenwirkung aufgeführt und kann Ausdruck einer Überdosierung sein (1;5).
Methämoglobin (Met-Hb) entsteht durch Oxidation von zwei- zu dreiwertigem Eisen (Fe2+ zu Fe3+ im Hämoglobin (Hb). Met-Hb kann keinen Sauerstoff binden und transportieren. Eine Met-Hb-Konzentration von etwa 1 % im Blut ist physiologisch. Das Enzym NADH-Cytochrom-b5-Reduktase (Methämoglobin-Reduktase) reduziert Met-Hb wieder zu Hb. Durch oxidierende Arzneimittel wie Prilocain oder dessen Metabolit O-Toluidin (in geringerem Maß auch Lidocain) kann die Met-Hb-Bildung erhöht werden. Wenn die Kapazität der NADH-Cytochrom-b5-Reduktase überschritten wird, kann daraus eine Erhöhung der Met-Hb-Konzentration („Methämoglobinämie“) resultieren (2;3;6–9).
Met-Hb-Anteile ab 10–20 % gehen mit Zyanose (typischerweise „bräunlich“) einher, die durch Gabe von Sauerstoff nicht reversibel ist. Mit steigenden Werten können Dyspnoe, Verwirrtheit, Benommenheit, Azidose, Koma und Krampfanfälle auftreten. Werte über 70 % sind potenziell tödlich (2;3;7;8;10). Typisch ist die Differenz zwischen der Sauerstoffsättigung, die mittels Pulsoxymetrie bestimmt wurde, und der laborchemisch mittels arterieller Blutgasanalyse ermittelten Sättigung („saturation gap“). Diese entsteht dadurch, dass Met-Hb die Messung der Sauerstoffsättigung durch herkömmliche Pulsoxymeter beeinträchtigt und zu verfälschten Ergebnissen führen kann. Daher sollte die Messung mit einem CO-Oxymeter erfolgen oder mittels arterieller Blutgasanalyse, wenn ein solches Gerät nicht vorhanden ist (siehe Tabelle 1) (2;3;8).
Therapeutisch muss zunächst die Exposition gegenüber dem auslösenden Arzneimittel beendet werden. Bei asymptomatischem oder mildem Verlauf werden die Patienten beobachtet und mit Sauerstoff versorgt, wodurch die Umwandlung von Met-Hb zu Hb beschleunigt wird. Bei schwerer Methämoglobinämie (je nach klinischer Symptomatik ab 10–30 % Met-Hb-Anteil) werden Toluidinblau bzw. Methylenblau intravenös verabreicht, die NADPH-abhängig die Reduktion von Met-Hb zu Hb beschleunigen. Wenn die Met-Hb-Werte weiterhin hoch bleiben, kann eine Transfusion notwendig sein (2;8;11–13). Zu beachten ist, dass die Applikation von Methylenblau und Toluidinblau die Haut blaugrün verfärbt, was die Beurteilung der Zyanose erschweren kann (12;13).
Fetales Hb wird leichter zu Met-Hb oxidiert als adultes Hb (9;14). Darüber hinaus ist die Aktivität der NADH-Cytochrom-b5-Reduktase bei Frühgeborenen und Säuglingen in den ersten vier bis sechs Lebensmonaten noch nicht auf dem Level der Erwachsenen (9;15). Frühgeborene und Säuglinge in den ersten Lebensmonaten können daher empfindlicher auf eine Exposition mit LP-Cremes reagieren und eine Methämoglobinämie entwickeln, was einige publizierte Fallberichte belegen (2;6;7;11;16;17). Aber auch bei älteren Kindern (2;3;7;10;18) und Erwachsenen (4;19;20) sind Fälle von Methämoglobinämie dokumentiert, häufig nach Anwendung exzessiver Dosen, Anwendung auf einem großen Hautareal oder bei längerer als der empfohlenen Einwirkzeit (3;4;7;10;17–19) (weitere Risikofaktoren siehe Tabelle 2).
Verschiedene Institutionen warnten in der Vergangenheit vor dem Risiko von Methämoglobinämien im Zusammenhang mit LP-Creme, insbesondere bei kleinen Kindern bzw. bei inkorrekter Anwendung (21–23).
LP-Cremes sollen bei reifen Neugeborenen und Säuglingen unter drei Monaten nur als Einzeldosis (bis 1 g und 10 cm2 für eine Stunde) innerhalb von 24 Stunden angewendet werden. Bei älteren Kindern können im Abstand von 12 Stunden maximal zwei Dosen innerhalb von 24 Stunden aufgetragen werden (vgl. Tabelle 3) (1;5).
Auf der Haut und Schleimhaut im Genitalbereich sollten LP-Cremes nur unter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal angewendet werden (1). Im vorliegenden Fall war es versehentlich zu einer Überdosierung mit LP-Creme durch die Eltern gekommen, indem das Arzneimittel zur regelmäßigen Wundpflege angewendet wurde. Hierfür sind LP-Cremes nicht zugelassen. Neben der fehlenden Indikation wurde die Creme bei dem Säugling häufiger als empfohlen angewendet.
Der vorliegende Fall sowie diverse Literaturberichte zeigen, dass die Anwendung von Lidocain- und Prilocain-haltiger Creme (LP-Creme) mit dem Risiko einer Methämoglobinämie einhergehen kann, vor allem bei jungen Kindern und wenn die Anwendungsempfehlungen nicht eingehalten werden.
Die Empfehlungen zur Dosierung sollten, insbesondere bei Kindern, eingehalten werden (vgl. Tabelle 3). Die Anwendung auf der Haut und Schleimhaut im Genitalbereich (1) sowie nach Auffassung der AkdÄ auch die Anwendung bei Säuglingen unter drei Monaten sollte nur unter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal erfolgen. Um das Risiko von Überdosierungen möglichst gering zu halten, sollten Patienten und ggf. deren Betreuungspersonen hierüber aufgeklärt und nach Möglichkeit die kleinste, medizinisch sinnvolle Packungsgröße verordnet bzw. abgegeben werden.
Da LP-Cremes rezeptfrei in der Apotheke erhältlich sind und nach Kenntnis der AkdÄ auch durch nicht medizinisch ausgebildetes Personal, beispielsweise im Rahmen kosmetischer Behandlungen (z. B. beim Tätowieren (24)) angewendet werden, ist die Aufklärung in den Apotheken von besonderer Bedeutung.
Bitte teilen Sie der AkdÄ Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können online über unsere Website www.akdae.de melden oder unseren Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird.