Multiple Wirbelkörperfrakturen nach Absetzen von Denosumab („Aus der UAW-Datenbank“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 48, 01.12.2017
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 48, 01.12.2017
Denosumab ist ein monoklonaler Antikörper, der an das membrangebundene Zytokin RANKL (Receptor Activator of Nuclear Factor-Kappa B Ligand) auf der Osteoblastenoberfläche und auch an frei zirkulierendes RANKL bindet. Hierdurch wird die Bindung von RANKL an seinen eigentlichen Rezeptor RANK auf Osteoklasten und deren Vorläuferzellen verhindert (1). Durch die Bindung von RANKL an RANK wird physiologischerweise die Bildung, die Funktion und das Überleben von Osteoklasten stimuliert. Denosumab führt durch die Inhibition dieser Bindung zu einer Verminderung der Knochenresorption im kortikalen und im trabekulären Knochen.
Denosumab ist in einer niedrigeren Dosierung (Prolia®, 60 mg einmal alle sechs Monate subkutan) zugelassen zur Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen mit erhöhtem Frakturrisiko sowie zur Behandlung von Knochenschwund im Zusammenhang mit Hormonablation bei Männern mit Prostatakarzinom und erhöhtem Frakturrisiko (2). In einer höheren Dosierung (Xgeva®, 120 mg einmal alle vier Wochen subkutan) ist es indiziert zur Prävention von skelettbezogenen Komplikationen (wie zum Beispiel pathologischen Frakturen) bei Erwachsenen mit Knochenmetastasen aufgrund solider Tumoren (3). Während die Verordnungen von Bisphosphonaten zur Osteoporosebehandlung in den letzten Jahren leicht rückläufig waren, war für Denosumab im Jahr 2015 ein deutlicher Anstieg um etwa 20 % auf 37,9 Mio. Tagesdosen zu verzeichnen (4).
Der AkdÄ wurde der Fall einer 62-jährigen Patientin berichtet, die von 2014 bis 2016 wegen postmenopausaler Osteoporose mit Denosumab behandelt wurde. Warum die Behandlung nach zwei Jahren abgebrochen wurde, ist nicht bekannt. Etwa ein Jahr nach der letzten Injektion von Denosumab wurde sie wegen starker Rückenschmerzen, die auf eine ambulante analgetische Behandlung nur unzureichend angesprochen hatten, stationär aufgenommen. Die daraufhin durchgeführte Bildgebung zeigte mehrere neu hinzugekommene Sinterungsfrakturen der Brust- und Lendenwirbelsäule. Die knochenspezifische alkalische Phophatase sowie die Tartrat-resistente Saure Phosphatase (TRAP 5b) als Marker für Knochenumbau waren deutlich erhöht. Eine umfangreiche Umgebungsdiagnostik ergab keine Hinweise auf eine sekundäre Osteoporose durch ein Tumorleiden, ein Plasmozytom oder einen Hyperparathyreoidismus. Der 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3-Spiegel war mit 19 ng/l leicht erniedrigt (Normwert 25–86,5 ng/l). Therapeutisch wurde die Substitution von Kalzium und Vitamin D3 eingeleitet und eine antiresorptive Medikation mit Zoledronsäure begonnen. Zusätzlich zu einer analgetischen Behandlung wurde eine Rückenorthese angepasst. Die meldenden Ärzte führen die multiplen Wirbelkörperfrakturen auf einen Rebound-Effekt nach Absetzen von Denosumab zurück.
Der schnelle Knochendichteverlust auf prätherapeutische Werte nach Absetzen von Denosumab sowie anderen „Nicht-Bisphosphonat-Antiosteoporotika“ wie Teriparatid ist seit vielen Jahren bekannt, wurde jedoch bislang in Produktinformationen oder Verordnungshinweisen nur unzureichend adressiert (5–7). Demgegenüber bleibt die Knochendichte erhaltende Wirksamkeit von Bisphosphonaten aufgrund der längeren Verweildauer im Knochengewebe noch Jahre nach Therapieende bestehen, sodass für Bisphophonate je nach individuellem Frakturrisiko mögliche Therapiepausen über mehrere Jahre diskutiert werden (8).
Die Beobachtung von multiplen Frakturen bei Patienten nach Absetzen von Denosumab hat jedoch auch die Frage aufgeworfen, ob ein Rebound-Effekt im Sinne einer überschießenden Gegenreaktion auftritt (9–12). Dies würde bedeuten, dass die Knochendichte in einem bestimmten Zeitintervall nach Absetzen unter den Ausgangswert vor Beginn der Denosumab-Behandlung abfällt und möglicherweise mit einem erhöhten Frakturrisiko für die Patienten einhergeht. In einer Auswertung von 24 Fallberichten traten die Frakturen im Zeitraum von 8 bis 16 Monaten nach der letzten Gabe von Denosumab auf (12). Eine kleinere Untersuchung deutet darauf hin, dass die Aktivität der Osteoklasten, die für den Abbau von Knochengewebe verantwortlich sind, bei Patientinnen mit osteoporotischen Frakturen nach Absetzen von Denosumab gegenüber therapienaiven Patientinnen mit Frakturen erhöht ist (13). Auch in einem Informationsbrief des Herstellers, der im Dezember 2016 an Ärzte in der Schweiz versendet wurde, wird berichtet, dass in den klinischen Studien zu Denosumab bei einigen Patientinnen die Knochendichte nach Absetzen unter den Ausgangswert vor Behandlung abgesunken ist (14).
Derzeit ist unklar, wie mit dem Risiko von Frakturen nach Absetzen von Denosumab in der Praxis umgegangen werden soll. Einige Daten aus klinischen Studien legen nahe, dass dem Knochenmineralverlust nach Absetzen von Denosumab durch eine andere antiresorptive Therapie (z. B. Bisphosphonate) vorgebeugt werden kann. Offenbar sprechen jedoch nicht alle Patienten in dieser Situation auf Bisphosphonate an (14). Für evidenzbasierte Empfehlungen liegen derzeit keine ausreichenden Daten vor. Ein Positionspapier der European Calcified Tissue Society empfiehlt, Patienten nach fünf Jahren Behandlung mit Denosumab erneut zu evaluieren: Bei hohem Frakturrisiko sollte die Therapie mit Denosumab fortgeführt oder auf eine alternative Behandlung umgestellt werden. Bei Patienten mit niedrigem Frakturrisiko kann eine Beendigung erwogen werden, jedoch sollte dann eine Bisphosphonat-Behandlung in Betracht gezogen werden (15).
Nach Absetzen von Denosumab zur Behandlung einer Osteoporose kann es zu einem Knochendichteverlust kommen, der in einigen Fällen mit Frakturen einhergeht. Derzeit ist unklar, ob die Knochendichte lediglich auf die Ausgangssituation vor Behandlungsbeginn zurückfällt oder es sogar zu einer überschießenden Gegenreaktion mit vermehrtem Knochenabbau kommt. Wird Denosumab abgesetzt, sollte die Knochendichte im Verlauf überprüft und eine Behandlung mit Bisphosphonaten in Betracht gezogen werden. Zur antiresorptiven Therapie bei Osteoporose sind orale Bisphosphonate (z. B. Alendronsäure) Mittel der Wahl. Bei der Entscheidung für eine Behandlung mit Denosumab sollte die derzeit unklare Situation hinsichtlich des Vorgehens bei Absetzen berücksichtigt und die Patienten entsprechend aufgeklärt werden. Weitere Untersuchungen zur Ursache dieses Knochendichteverlusts und zu effektiven Gegenmaßnahmen sind erforderlich.