Osteonekrosen des Kieferknochens und des äußeren Gehörgangs unter Therapie mit Bisphosphonaten und Denosumab („UAW-News International“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 113, Heft 19, 13.05.2016
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 113, Heft 19, 13.05.2016
Bisphosphonate werden zur Behandlung der Osteoporose sowie bei skelettbezogenen Tumorerkrankungen und tumorinduzierter Hyperkalzämie eingesetzt. Für die beiden erstgenannten Indikationsbereiche ist seit einigen Jahren auch der monoklonale Antikörper Denosumab zugelassen. Je nach Indikation unterscheiden sich bei den Bisphosphonaten die eingesetzten Wirkstoffe und Dosierungen: Bei tumorassoziierten Erkrankungen werden überwiegend Zoledronsäure und Pamidronsäure eingesetzt und in kürzeren Zeitabständen und damit höherer kumulativer Dosis parenteral verabreicht. Bei der Osteoporose sind Alendronäure, Risedronsäure und Ibandronsäure führend und werden in der Regel in niedriger Dosierung oral eingenommen. Auch Denosumab wird je nach Indikation unterschiedlich dosiert.
Die Verordnungen von Bisphosphonaten haben in den letzten Jahren eher leicht abgenommen, während Denosumab häufiger eingesetzt wird und im Jahr 2014 einen Zuwachs von etwa 30 % verbuchen konnte (1).
Allgemein wird unter einer Osteonekrose der Untergang von Knochengewebe aufgrund einer mangelnden Blutversorgung verstanden (2). Über Osteonekrosen des Kiefers (osteonecrosis of the jaw, ONJ) im Zusammenhang mit Bisphosphonaten wurde erstmals im Jahr 2003 berichtet (3). Es handelt sich dabei um schwer therapierbare und häufig nicht reversible Komplikationen einer Knochenabbau hemmenden Therapie (4). Osteonekrosen des Kiefers werden definiert als freiliegender Knochen in der Mundhöhle, der nach Diagnose mehr als acht Wochen persistiert, ohne dass anamnestisch eine Bestrahlungstherapie dieser Region durchgeführt wurde. Sie treten bei Patienten auf, die mit Substanzen behandelt werden, die den Knochenabbau hemmen (Antiresorptiva), wie Bisphosphonate und Denosumab (5), und weitere Risikofaktoren für die Entwicklung einer solchen Komplikation aufweisen.
Die Pathophysiologie von Bisphophonat-assoziierten Kieferosteonekrosen ist nicht endgültig verstanden. Vermutlich spielen mehrere Faktoren bei ihrer Entstehung eine Rolle: vorbestehende bakterielle Infektionen am Zahnhalteapparat, die medikamentös induzierte Verminderung des Knochenumbaus und die Aktivierung bestimmter T-Zellen mit vermehrter Produktion proinflammatorischer Zytokine sowie antiangiogene Effekte (5). Als Risikofaktoren gelten die Wirkstärke des angewendeten Arzneimittels (höheres Risiko bei hochpotenten Wirkstoffen wie Zoledronsäure, Pamidronsäure oder Denosumab), der Verabreichungsmodus (höheres Risiko bei parenteraler Verabreichung und bei häufiger, z. B. monatlicher Gabe) sowie die kumulative Dosis (4). Weitere Risikofaktoren für eine ONJ umfassen u. a. die Behandlung mit Glukokortikoiden, chirurgische Eingriffe am Ober- oder Unterkiefer (mit Exposition des Knochens gegenüber der stets kontaminierten Mundhöhle), schlechte Mundhygiene, chronische Entzündungen (apikale Parodontitis, Wurzelreste, Schleimhaudefekte durch Abrasion), Diabetes mellitus, schlechtsitzende Zahnprothesen sowie die Anwendung antiangiogener Arzneimittel (z. B. Sunitinib, Bevacizumab oder Aflibercept) (5).
Bei Patienten, die wegen einer Osteoporose behandelt werden, ist das Risiko für eine ONJ im Vergleich zur Behandlung mit hohen Dosen in der Tumorindikation gering: Die Inzidenz liegt in Studien zwischen etwa 0,001 % und 0,15 % pro Patient und Behandlungsjahr (5). Obwohl es sich um sehr seltene Nebenwirkungen handelt, werden sie jedoch durch die breite Anwendung von Bisphosphonaten relevant. Für Tumorpatienten, die intravenös mit Bisphophonaten behandelt werden, werden Inzidenzen bis zu 12 % pro Jahr Behandlung angegeben. Auch für Denosumab in der Tumorindikation (Präparat: Xgeva®) muss bei bis zu 10 % der Behandelten mit einer ONJ gerechnet werden (6;7).
Zur Minimierung des Risikos von ONJ wurde seit 2005 bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: Hierzu zählen Anpassungen der Produktinformationen und das Zurverfügungstellen von spezifischem Schulungsmaterial. Darüber hinaus wurde eine Patientenerinnerungskarte eingeführt, in der u. a. auf die notwendige Mund- und Zahnpflege aufmerksam gemacht wird und Patienten erinnert werden, ihren Zahnarzt über die Behandlung mit Bisphosphonaten oder Denosumab zu informieren (4). Von zahnärztlicher und kieferchirurgischer Seite sollte immer bedacht werden, dass das Absetzen eines Bisphosphonats oder von Denosumab bei der Tumorhyperkalzämie für den Patienten u. U. lebensbedrohliche Folgen haben kann. Es sollte daher nur in enger Rücksprache mit den Ärzten erfolgen, die die antiresorptive Therapie verordnet haben.
Ein weiteres Risiko der Behandlung mit Bisphosphonaten, dass erstmals 2005 beschrieben wurde (8), sind Osteonekrosen des äußeren Gehörgangs (osteonecrosis of the external auditory canal, ONEAC). Sie wurden kürzlich ebenfalls in die Fach- und Gebrauchinformationen aufgenommen (4). Analog zu den Kieferosteonekrosen wurde als Definition für ONEAC vorgeschlagen, dass es sich um freiliegenden avitalen Knochen im äußeren Gehörgang handelt, der für mehr als acht Wochen persistiert, ohne dass anamnestisch eine Bestrahlungstherapie dieser Region durchgeführt wurde (9;10). Ob unter Denosumab ebenfalls ein erhöhtes Risiko für ONEAC besteht, ist nicht abschließend geklärt, da bisher nur vereinzelte Fallmeldungen vorliegen (BfArM) (4).
Ähnlich wie die Mundhöhle ist der äußere Gehörgang ein mit Bakterien besiedelter Hohlraum. Die Reinigung mit Wattestäbchen führt möglicherweise zu minimalen Verletzungen, die die Entstehung einer ONEAC begünstigen können (10). Als Symptome können Ohrenschmerzen, Ausfluss aus den Ohren und Zeichen chronischer Ohrentzündungen auftreten, aber auch asymptomatische Zufallsbefunde sind beschrieben worden (10–13). Die Latenzzeit zwischen erster Gabe und Diagnose der ONEAC lag in einer Fallserie zwischen 4,5 und 9 Jahren, bei einigen publizierten Fällen bei bis zu 10 Jahren. Ein beidseitiges Auftreten wurde mehrfach beschrieben. Teilweise waren Patienten betroffen, die anamnestisch bereits eine Osteonekrose des Kiefers erlitten hatten (8;10;11). Für die Diagnose einer ONEAC ist eine Gewebebiopsie zum Ausschluss einer malignen Ursache unumgänglich (10). In den veröffentlichen Fällen bestand die Behandlung in der chirurgischen Sanierung sowie der lokalen und/oder systemischen Antibiotikagabe. Die komplette Abheilung dauerte in der bereits erwähnten Fallserie ein bis zweieinhalb Jahre (12). Ob bei Diagnose einer ONEAC das Absetzen einer Behandlung mit Bisphosphonaten irgendwelche Vorteile bringt, ist zweifelhaft, denn Bisphosphonate werden in den Knochen gespeichert und haben dort eine Halbwertszeit von vielen Jahren (10).
Bislang sind Meldungen über ONEACs selten. Es gibt jedoch Hinweise, dass das Krankheitsbild der ONEAC bei HNO-Ärzten nicht gut bekannt ist. Die Veränderungen können z. B. als Cholesteatom des äußeren Gehörgangs fehlinterpretiert werden, sodass die tatsächliche Häufigkeit möglicherweise unterschätzt wird (2). Weitere Differenzialdiagnosen sind eine maligne Otitis externa („necroticans“) oder ein Malignom des Schläfenknochens. Bei der Entdeckung von freiliegendem Knochen im äußeren Gehörgang und einer Biopsie ohne Malignomverdacht sollte bei entsprechender Arzneimittelanamnese eine Osteonekrose im Zusammenhang mit Bisphosphonaten oder Denosumab in Betracht gezogen werden.
Im Zusammenhang mit einer Bisphosphonatbehandlung können neben den bekannten Osteonekrosen des Kiefers (osteonecrosis of the jaw, ONJ) auch Osteonekrosen des äußeren Gehörgangs (osteonecrosis of the external auditory canal, ONEAC) auftreten. Bei Symptomen wie Ohrenschmerzen, Ausfluss aus den Ohren oder Zeichen chronischer Ohrentzündungen unter laufender oder stattgehabter Behandlung mit Bisphoponaten oder Denosumab sollte eine ONEAC differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden. Der Verdacht erhärtet sich, wenn freiliegender Knochen im äußeren Gehörgang festgestellt wird, ohne dass sich bioptisch ein maligner Prozess nachweisen lässt. Entsprechende Verdachtsfälle sollten der AkdÄ mitgeteilt werden. Sie können online über unsere Website www.akdae.de melden oder unseren Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird.