Pankreaskarzinome im Zusammenhang mit Exenatid (Byetta®) (Aus der UAW-Datenbank)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 108, Heft 19, 13.05.2011

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 108, Heft 19, 13.05.2011

Exenatid gehört zur Gruppe der Inkretinmimetika und ist in Kombination mit Metformin, Sulfonylharnstoffen oder einem Glitazon zugelassen zur Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, wenn durch eine orale Therapie allein keine angemessene Blutzuckerkontrolle erreicht werden kann (1). Die AkdÄ empfiehlt den Einsatz von Exenatid nur in speziellen Situationen, z. B. bei Patienten mit starkem Übergewicht oder deutlicher Gewichtszunahme nach Beginn einer Insulintherapie (2, 3). Es wurde 2007 in Deutschland eingeführt und im Jahr 2009 mit etwa 7,7 Mio. DDD verordnet (4). Aufgrund der Verordnungszahlen kann man davon ausgehen, dass pro Jahr etwa 15.000 bis 25.000 Patienten in Deutschland mit Exenatid behandelt werden.

Zu den häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Exenatid gehören gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall (1). Häufig wird unter Exenatid ein (oft auch erwünschter) Gewichtsverlust beobachtet. Die AkdÄ hat im Jahr 2008 auf Fälle von Pankreatitiden im Zusammenhang mit der Anwendung von Exenatid aufmerksam gemacht (5).

Der AkdÄ wurden zwei Fälle gemeldet, bei denen bei mit Exenatid behandelten Patienten ein Pankreaskarzinom diagnostiziert wurde. Im ersten Fall handelt es sich um eine übergewichtige 63-jährige Patientin, bei der seit 1998 ein Typ-2-Diabetes bekannt ist (AkdÄ, Fall-Nr. 152673). Aufgrund einer starken Gewichtszunahme unter der Insulintherapie erfolgte im Januar 2009 eine Umstellung auf Exenatid. Es kam zu einer gewünschten Gewichtsabnahme, die jedoch ab September des Jahres sehr rasch verlief, so dass Exenatid abgesetzt wurde. Aufgrund von Nachtschweiß wurde eine Tumordiagnostik eingeleitet, die jedoch zunächst keinen pathologischen Befund ergab. Im Januar 2010 führte eine Erhöhung der Cholestaseparameter zur Diagnose eines Pankreaskopfkarzinoms. Im zweiten Fall wird über einen 49-jährigen Patienten berichtet, der seit 2007 mit Metformin und ab September 2009 zusätzlich mit Exenatid behandelt wurde (AkdÄ, Fall-Nr. 153829). Im Verlauf eines Jahres kam es zu einem Gewichtsverlust von etwa 15 kg. Aufgrund von linksseitigen Oberbauch- und Rückenbeschwerden wurde im September 2010 im Rahmen einer weiteren Diagnostik ein primär inoperables Pankreaskopfkarzinom festgestellt.

Bei einer Recherche in der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems (gemeinsame Datenbank vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, und der AkdÄ) wurden insgesamt elf Meldungen von Pankreaskarzinomen im Zusammenhang mit der Gabe von Exenatid gefunden. In einem weiteren Fall wurde ein Pankreaskarzinom bei einem Patienten unter Therapie mit dem 2009 eingeführten GLP-1-Analogon Liraglutid (Victoza®) berichtet, der zuvor mit Exenatid behandelt worden war. Das Alter der elf Patienten (vier Frauen, sieben Männer) liegt im Mittel bei 60,8 Jahren (43-72). Der Zeitraum zwischen dem Beginn der Behandlung mit Exenatid und der Diagnose eines Pankreaskarzinoms betrug im Mittel 12,2 Monate (2-33). Zu bekannten Risikofaktoren für die Entstehung eines Pankreaskarzinoms wie familiäre Belastung, chronische Pankreatitis, Diabetes mellitus, Rauchen und Übergewicht (6, 7) findet man in den Spontanmeldungen nur zu Diabetes durchgängig Angaben. Andere Neoplasien wurden im Zusammenhang mit Exenatid nur in Einzelfällen gemeldet. Die Anzahl von Meldungen über Pankreaskarzinome im Zusammenhang mit der Gabe anderer Antidiabetika war in der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems nicht auffällig hoch.

Als Ursache für die auffällige Zahl von Meldungen von Pankreaskarzinomen unter Exenatid muss ein sogenannter Reporting Bias in Erwägung gezogen werden. Möglicherweise werden Pankreaskarzinome unter Exenatidbehandlung eher gemeldet als andere Karzinome, weil Pankreatitiden als unerwünschte Arzneimittelwirkung durch Veröffentlichungen in medizinischen Fachzeitschriften und die Produktinformationen bekannt sind. Zur Frage nach einem Pathomechanismus können die bislang vorliegenden Untersuchungen keine plausible Erklärung bieten. In einer Auswertung der spontan gemeldeten Fälle aus der Datenbank der US-amerikanischen FDA zeigte sich im Vergleich zu anderen Antidiabetika (Rosiglitazon, Nateglinid, Repaglinid und Glipizid) eine erhöhte Berichtsfrequenz von Pankreaskarzinomen sowie von Pankreatitiden im Zusammenhang mit Exenatid und auch mit dem DPP-4-Hemmer Sitagliptin (8).

Die gemeldeten Fälle von Pankreaskarzinomen im Zusammenhang mit Exenatid aus Deutschland sowie die Berichte in der Datenbank der FDA können aus Sicht der AkdÄ als Hinweis auf ein Sicherheitsproblem (Signal) gewertet werden. Ob tatsächlich ein erhöhtes Risiko für Pankreaskarzinome nach Gabe von Exenatid besteht, muss durch weitere Studien abgeklärt werden. Anlass zu Änderungen der Indikationsstellung von Exenatid, die in den aktuellen Empfehlungen der AkdÄ zur antihyperglykämischen Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 dargestellt und begründet ist (2), ergibt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Jedoch sollten Patienten, die mit GLP-1-Analoga behandelt werden, in angemessener Weise über offene Fragen zum Sicherheitsprofil aufgeklärt werden. Mögliche Risiken müssen gegenüber den vorhandenen Effekten sorgfältig abgewogen werden. Dabei ist zu beachten, dass Langzeitdaten zu patientenrelevanten Endpunkten (z. B. diabetische Komplikationen, kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität) noch nicht vorliegen. Kommt es bei Patienten unter Behandlung zu einem auffällig hohen Gewichtsverlust, sollte sorgfältig nach möglichen anderen tumorassoziierten Symptomen, wie z. B. Nachtschweiß, Abgeschlagenheit oder Leistungsknick, gefragt und die Indikation zur weiteren Diagnostik ggf. großzügig gestellt werden. Dies gilt insbesondere für Patienten mit bekannten Risikofaktoren für die Entwicklung eines Pankreaskarzinoms.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder über die Homepage der AkdÄ abrufbar ist. Es besteht auch die Möglichkeit, über www.akdae.de direkt online einen UAW-Verdachtsfall zu melden.


Literatur
  1. Lilly Deutschland GmbH: Fachinformation "Byetta®". Stand: August 2010.
  2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Empfehlungen zur antihyperglykämischen Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. 2. Auflage. Arzneiverordnung in der Praxis (Therapieempfehlungen), März 2009; Band 36, Sonderheft 1.
  3. Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:Exenatide (Byetta®): Wirkstoff aktuell 06/2007.Beilage im Deutschen Ärzteblatt vom 5. Januar 2007.
  4. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2010. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2010.
  5. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:"Aus der UAW-Datenbank": Pankreatitis unter Exenatid.Dtsch Arztebl 2008; 105(8): A 409.
  6. Krejs GJ: Pancreatic cancer: epidemiology and risk factors. Dig Dis 2010; 28: 355-8.
  7. Maisonneuve P, Lowenfels AB: Epidemiology of pancreatic cancer: an update. Dig Dis 2010; 28: 645-56.
  8. Elashoff M, Matveyenko AV, Gier B, et al.: Pancreatitis, Pancreatic and thyroid Cancer with Glucagon-Like Peptide-1-Based Therapies. Gastroenterology 2011; Epub ahead of print.