Sorafenib ist ein oral zu verabreichender "Multikinase-Inhibitor" mit antiproliferativen und antiangiogenen Eigenschaften. Sorafenib ist zugelassen zur Behandlung des inoperablen Leberzellkarzinoms sowie bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, bei denen eine vorherige Interferon-alpha- oder Interleukin-2-basierte Therapie versagt hat oder die für eine solche Therapie nicht geeignet sind (1). Die Wirkung von Sorafenib erklärt sich hauptsächlich über zwei Mechanismen. Zum einen wird die RAF-Kinase gehemmt und so die Übertragung des Signals von Wachstumsfaktoren zur Zellteilung in den Zellkern unterbrochen. Zum anderen wird durch Hemmung der intrazellulären Tyrosinkinasedomäne des Rezeptors für den Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor), aber auch anderer Rezeptoren für Wachstumsfaktoren, die Gefäßneubildung von Tumoren vermindert. In den Zulassungsstudien überlebten die Patienten mit Leberzellkarzinom, die Sorafenib einnahmen, im Durchschnitt 10,7 Monate gegenüber 7,9 Monaten bei den Placebopatienten (2). In der TARGET-Studie betrug die Gesamtüberlebenszeit beim Nierenzellkarzinom unter Sorafenib 19,3 Monate gegenüber 15,9 Monaten unter Placebo und war nicht signifikant verlängert (3, 4). Die Erteilung der Zulassung in dieser Indikation beruht auf der Zeitdauer, bevor sich die Erkrankung verschlechterte (progressionsfreies Überleben: 167 Tage unter Nexavar® vs. 84 Tage unter Placebo [4]). Nexavar® ist seit 2006 in der EU zugelassen. Im Jahr 2007 erzielte es in Deutschland einen Umsatz von 42 Mio. Euro; dies entspricht einer Steigerung um fast 250 Prozent gegenüber dem Vorjahr (5).
Der AkdÄ wurde der Fall eines 70-jährigen Patienten gemeldet (AkdÄ-Fall Nr. 147686), bei dem im März 2007 ein mäßig differenziertes, multifokales Leberzellkarzinom diagnostiziert wurde. Nach zweimaliger Chemoembolisationstherapie zeigte sich weiterhin ein Tumorwachstum, sodass ab Februar 2008 eine palliative Therapie mit Nexavar® begonnen wurde. Bereits kurz nach Beginn der Therapie schilderte der Patient eine Dysphagie. Zur Abklärung wurden eine MRT und eine Gastroskopie durchgeführt, die jedoch keinen wegweisenden Befund ergaben. Nach vier Monaten hatte die Dysphagie so stark zugenommen, dass keine orale Nahrungsaufnahme mehr möglich war. Der Patient wurde stationär aufgenommen. Endoskopisch zeigten sich jetzt ausgedehnte Ulzera im Ösophagus ohne Hinweis auf ein Refluxgeschehen und ohne histologischen Nachweis einer Pilzbesiedlung. Computertomografisch waren mediastinale Gasareale angrenzend an die Ösophaguswand als Zeichen einer Perforation nachweisbar. Trotz antibiotischer Therapie verschlechterte sich der Zustand des Patienten in den folgenden Tagen rasch, und er verstarb unter dem Bild einer Mediastinitis. Eine Sektion wurde nicht durchgeführt.
Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) von Sorafenib sind Durchfall, Haarausfall und das Hand-Fuß-Syndrom (palmar-plantares Erythrodysästhesie-Syndrom). In der Fachinformation werden gastrointestinale Perforationen unter den gelegentlich auftretenden Nebenwirkungen (> 1/1 000, < 1/100) aufgeführt. Im deutschen Spontanmeldesystem (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Stand: Januar 2008) sind 463 Verdachtsfälle von UAW nach Gabe von Sorafenib erfasst. In 128 Berichten werden gastrointestinale Symptome genannt, darunter neben Blutungen und Ulzerationen auch Perforationen des Colons (n = 2), von Divertikeln (n = 2) und Magengeschwüren (n = 1).
Ein denkbarer Pathomechanismus für gastrointestinale Perforationen unter Sorafenib ist die Hemmung der Signalweiterleitung am Rezeptor von VEGF oder anderer Wachstumsfaktoren (z. B. platelet-derived growth factor, PDGF), da diese angiogenen Faktoren bei der Regeneration und Gefäßneubildung von geschädigter Schleimhaut im Gastrointestinaltrakt eine wichtige Rolle spielen (6). Für den monoklonalen Antikörper Bevacizumab (Avastin®), der durch direkte Bindung an VEGF dessen Wirkung inhibiert, sind ebenfalls Magen-Darm-Perforationen als UAW beschrieben, auf die von der AkdÄ kürzlich hingewiesen wurde (7, 8).
Patienten sollten über das Risiko von Perforationen aufgeklärt und auf die Beachtung von gastrointestinalen Symptomen aufmerksam gemacht werden. Bei Auftreten von abdominellen Beschwerden ist eine sorgfältige Abklärung notwendig. Im vorliegenden Fall blieb die Perforation als Folge der mukosalen Schädigung zunächst unentdeckt. Die weitere Behandlung der Tumorerkrankung mit Angiogenese-Inhibitoren sollte in solchen Fällen sorgfältig mit dem zu erwartenden therapeutischen Effekt abgewogen werden.
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder über die Homepage der AkdÄ abrufbar ist. Es besteht auch die Möglichkeit, über www.akdae.de direkt online einen UAW-Verdachtsfall zu melden.
Sie können sich unter www.akdae.de/20 für einen Newsletter der AkdÄ anmelden, der auf neue Risikoinformationen zu Arzneimitteln hinweist.
Literatur
- Bayer HealthCare AG: Fachinformation "Nexavar 200 mg Filmtabletten". Stand: November 2008.
- EMEA: Nexavar®: European Public Assessment Report (scientific discussion): www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/nexavar/Nexavar-H-C-690-II-05.pdf. London, 20. September 2007. Zuletzt geprüft: 16. Februar 2009.
- Escudier B, Eisen T, Stadler WM et al.: Sorafenib in advanced clear-cell renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2007; 356: 125–34. MEDLINE
- EMEA: Nexavar®: European Public Assessment Report (20.05.2008): www.emea.europa.eu/humandocs/Humans/EPAR/nexavar/nexavar.htm. Zuletzt geprüft: 26. Januar 2008.
- Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2008. Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2008.
- Roodhart JM, Langenberg MH, Witteveen E, Voest EE: The molecular basis of class side effects due to treatment with inhibitors of the VEGF/VEGFR pathway. Curr Clin Pharmacol 2008; 3: 132–43. MEDLINE
- Roche Registration Limited: Fachinformation "Avastin®". Stand: August 2008.
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: "Aus der UAW-Datenbank": Darmperforation unter Bevacizumab. Dtsch Arztebl 2009; 106(4): A 152. VOLLTEXT