Plattenepithelkarzinom des Penis im Zusammenhang mit Fingolimod („Aus der UAW-Datenbank“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 115, Heft 12, 23.03.2018
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 115, Heft 12, 23.03.2018
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die zu Demyelinisierung und axonaler Schädigung führt (1). Deutschland zählt mit bis zu 127 Betroffenen pro 100.000 Einwohnern zu den Ländern mit hoher Prävalenz (2;3). Der Erkrankungsgipfel liegt um das 30. Lebensjahr (3), Frauen sind häufiger betroffen als Männer (4). Je nach Verlauf wird die MS in vier Formen eingeteilt: klinisch isolierte Syndrome, schubförmig-remittierende MS (relapsing remitting MS, RRMS), sekundär progrediente MS und primär progrediente MS. Darüber hinaus werden milde/moderate und (hoch)aktive Verlaufsformen unterschieden, für die unterschiedliche Therapieempfehlungen gelten (1;5;6). Zur Behandlung der schubförmig verlaufenden MS stehen unter anderem Interferon beta und Glatirameracetat zur Verfügung (1;4–6).
Der Sphingosin-1-Phosphat(S1P)-Rezeptor-Modulator Fingolimod ist zugelassen zur krankheitsmodifizierenden Monotherapie der hochaktiven schubförmig-remittierenden MS bei Erwachsenen (7). Fingolimod wird somit von wenigen Ausnahmen abgesehen als Sekundärtherapie bzw. Eskalationstherapie und nur in seltenen Fällen als Erstlinientherapie angewandt, z. B. bei von Anfang an hochaktivem Krankheitsverlauf.
Fingolimod entfaltet seine Wirkung über den aktiven Metaboliten Fingolimodphosphat, das als funktioneller Antagonist an den S1P-Rezeptor auf Lymphozyten bindet und so deren Migration aus den Lymphknoten verhindert. Dadurch werden die Infiltration pathogener Lymphozyten in das ZNS und somit die Entzündungsreaktion und Zerstörung von Nervengewebe vermindert. Fingolimodphosphat bindet darüber hinaus an S1P-Rezeptoren auf den Nervenzellen im ZNS (5;7).
Der AkdÄ wurde der Fall eines 37-jährigen, nicht rauchenden Patienten gemeldet, der seit seinem 25. Lebensjahr an einer schubförmig verlaufenden MS erkrankt war. Der Patient war zunächst mit Interferon beta behandelt worden, das bei Schubaktivität und Nachweis neutralisierender Antikörper nach vier Jahren beendet wurde. Unter einer Therapie mit Glatirameracetat trat ein hochaktiver Verlauf auf mit klinischer Schubaktivität und mehreren kontrastmittelaufnehmenden Läsionen im MRT, sodass der Patient schließlich vor einigen Jahren auf Fingolimod (0,5 mg/d) eingestellt wurde. Hierunter war er hinsichtlich der Multiplen Sklerose anhaltend beschwerdefrei. Begleitend litt der Patient an einer Psoriasis vulgaris. In diesem Zusammenhang waren seit langer Zeit Hautveränderungen am Penis bekannt. Über die Vorbehandlung der Psoriasis liegen keine genauen Angaben vor. Nach Recherchen der meldenden Klinik scheint es jedoch so zu sein, dass der Patient auch früher nicht mit PUVA (Psoralen plus UV-A) oder einer systemischen immunsuppressiven Therapie behandelt worden war.
Fünf Jahre nach Beginn der Fingolimod-Behandlung stellte sich der Patient mit seit 18 Monaten bestehenden Hautveränderungen des Penis ärztlich vor. Primär habe eine Schuppung bestanden, im Verlauf hätten sich Risse und Krusten an der Glans penis gebildet. Zunächst wurden die Veränderungen nach einer Probeexzision im Rahmen der Psoriasis interpretiert und lokal behandelt. Bei ausbleibendem Effekt wurde unter dem Verdacht eines Granuloma inguinale stationär eine antibiotische Behandlung durchgeführt, welche ebenfalls keine Besserung erbrachte. In einer erneuten Probeexzision wurde die Diagnose eines Plattenepithelkarzinoms der Glans penis gestellt (pT1, G2, pN3 (4/21; ECE+)). HPV oder HSV wurden nicht nachgewiesen.
Trotz chirurgischer Intervention (Penisamputation, Lymphadenektomie) und chemotherapeutischer Behandlung (zunächst adjuvant mit Cisplatin/5-FU/Paclitaxel, später – vermutlich wegen Metastasierung – 12 Zyklen Cisplatin/Etoposid/Bleomycin) sowie bei ossären Metastasen Bestrahlung von Thorax und Wirbelsäule kam es rasch zu einer multilokulären Metastasierung. Es konnte keine Tumorkontrolle erreicht werden und der Patient verstarb zehn Monate nach Diagnosestellung des Karzinoms.
Die meisten Karzinome des Penis sind Plattenepithelkarzinome (8). An Plattenepithelkarzinomen der Haut in unterschiedlicher Lokalisation erkrankten im Jahr 2012 in Deutschland über 44.000 Menschen (26.400 Männer, 17.900 Frauen). In der Regel treten diese Karzinome im höheren Lebensalter auf (mittleres Erkrankungsalter: Männer 76 Jahre, Frauen 79 Jahre). Ein wichtiger Risikofaktor ist der ultraviolette Anteil der Sonnenstrahlung, weswegen Plattenepithelkarzinome häufig an lichtexponierten Hautarealen auftreten (9). Plattenepithelkarzinome des Penis sind in entwickelten Ländern selten. Für Europa und Nordamerika wird die Inzidenz auf unter 1 Mann pro 100.000 geschätzt mit einem Erkrankungsgipfel im 6. Lebensjahrzehnt (8). Ein Drittel der Peniskarzinome wird auf das Humane Papilloma Virus (HPV) zurückgeführt. Weitere Risikofaktoren sind Phimosen und Rauchen (8). Aber auch Immunsuppression, z. B. durch Medikamente, kann das Auftreten von Plattenepithelkarzinomen begünstigen (9). Die Behandlung hängt ab von der Tumorgröße, der Histologie sowie vom Stadium und vom Differenzierungsgrad. Neben (möglichst organerhaltenden) chirurgischen Eingriffen und verschiedenen Möglichkeiten der Bestrahlung kommen unterschiedliche Chemotherapiestrategien zum Einsatz (8). Etwa 80 Prozent der Patienten mit Peniskarzinom können heute geheilt werden (8).
Publizierte Fallberichte über Plattenepithelkarzinome der Haut (vor allem penile Plattenepithelkarzinome) im Zusammenhang mit Fingolimod liegen nach unserer Kenntnis bislang nicht vor. In der Europäischen Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Nebenwirkungen finden sich bei insgesamt über 15.000 Fallberichten zu Fingolimod einzelne weitere Fälle von Plattenepithelkarzinom der Haut bzw. im Anogenitalbereich. Weitere Fälle von penilen Plattenepithelkarzinomen finden sich nicht (10). Allerdings wurde im Zusammenhang mit Fingolimod über verschiedene Neoplasien berichtet: Insbesondere wurden Neoplasien der Haut (M. Bowen, Basalzellkarzinom, malignes Melanom, Kaposi-Sarkom) beschrieben (11–15), aber auch über Brustkrebs, Lymphome (11) und Glioblastom wurde berichtet (16). In der Fachinformation zu Fingolimod werden Basalzellkarzinom (häufig), Lymphom (selten) sowie Kaposi-Sarkom (Häufigkeit nicht bekannt) als Risiken von Fingolimod aufgeführt (7).
Fingolimod wirkt immunsuppressiv, insbesondere auf T-Zellen. Dadurch kann das Auftreten von Infektionen, wie beispielsweise die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), aber auch bestimmter Krebsarten, wie das Basalzellkarzinom, begünstigt werden (17). Im Rahmen der Zulassung von Fingolimod wurden Hautkrebs (und andere Malignome) als potenzielles Risiko bewertet; diese sollen entsprechend dem Risk Management Plan weiter überwacht werden (18).
Der Patient aus dem Fallbeispiel ist für ein Plattenepithelkarzinom ungewöhnlich jung und auch die Lokalisation des Karzinoms an einer selten sonnenexponierten Stelle ist untypisch. Soweit bekannt ist, war der Patient wegen der Psoriasis nicht mit einer systemischen, immunsuppressiv wirkenden Therapie vorbehandelt worden und hatte in der Vergangenheit keine PUVA -Behandlung erhalten. Ein Zusammenhang von MS mit einer Karzinomentstehung (einschließlich Hautkrebs) wird kontrovers diskutiert. Eindeutige Hinweise auf eine erhöhte Karzinominzidenz liegen nicht vor (19). Aufgrund des Wirkmechanismus von Fingolimod ist deshalb eine (Mit-)Verursachung durch Fingolimod denkbar.
Bei Behandlung mit Fingolimod ist die regelmäßige Überwachung der Haut (auch der nicht lichtexponierten Areale) notwendig. Dies wird wegen des bekannten Risikos von Basalzellkarzinomen in der Fachinformation empfohlen: Eine medizinische Beurteilung der Haut sollte bei Behandlungsbeginn, nach mindestens einem Jahr und danach mindestens jährlich erfolgen. Wenn verdächtige Läsionen entdeckt werden, sollte der Patient an einen Dermatologen überwiesen werden (7).
Der Patient aus dem obigen Fallbeispiel kannte bei vorbestehender Psoriasis Hautveränderungen am Penis und stellte sich vermutlich deshalb erst 18 Monate nach neu aufgetretener Veränderung des Hautbildes am Penis ärztlich vor. Präkanzeröse Vorstufen konnten daher nicht adäquat behandelt werden.
Gerade bei einer möglicherweise bösartigen Hautveränderung sollte jedoch ein Zeitverlust vermieden werden. Patienten sollten daher aufgefordert werden, sich umgehend ärztlich vorzustellen, wenn sie verdächtige Läsionen (auch Veränderungen vorbestehender Auffälligkeiten) bemerken.
Im Zusammenhang mit Fingolimod sind bösartige Neubildungen an der Haut (vor allem Basalzellkarzinome) als Nebenwirkung bekannt. Deshalb sollte gemäß Fachinformation unter der Behandlung eine regelmäßige Inspektion der Haut (auch der nicht lichtexponierten Areale) und ggf. die Überweisung an einen Dermatologen erfolgen (7). Patienten sollten über das Risiko von Hautveränderungen informiert und aufgefordert werden, alle verdächtigen Hautläsionen umgehend ihren behandelnden Ärzten zu berichten.