Restvolumen bei Kurzinfusionen („Aus der UAW-Datenbank“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 40, 06.10.2017
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 40, 06.10.2017
Bei der Verabreichung von Arzneimitteln als Kurzinfusion verbleibt je nach verwendetem Infusionssystem ein unterschiedlich hohes Restvolumen im System, das nicht für die Behandlung des Patienten zur Verfügung steht. Es gibt keine einheitliche Regelung zum Umgang mit Restvolumen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat 2015 auf die Problematik der Restvolumina hingewiesen (1). Da die Thematik und die Konsequenzen für die Patienten jedoch noch nicht allgemein bekannt sind, möchten wir im Folgenden eine kurze Übersicht und Empfehlungen zum Umgang mit Restvolumina geben.
Der AkdÄ wurde der Fall eines 44-jährigen Patienten berichtet, der an einer schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose erkrankt war und erstmals mit Alemtuzumab behandelt wurde. Die Behandlung erfolgte gemäß der Fachinformation (2): In diesem ersten Behandlungszyklus sollten über fünf Tage jeweils 12 mg/d intravenös verabreicht werden. Das Konzentrat war hierzu vor der Infusion in 100 ml 0,9-prozentiger NaCl-Lösung verdünnt und die Infusion mittels Infusionspumpe über etwa vier Stunden infundiert worden. Der meldenden Ärztin fiel bei der täglichen Infusion ein Restvolumen von ca. 25 ml im Infusionssystem auf, weswegen sie eine eingeschränkte Wirksamkeit durch Unterdosierung befürchtete.
Für intravenöse Infusionen stehen verschiedene Systeme zur Verfügung, z. B. reine Schwerkraftinfusionen oder pumpengesteuerte Infusionen (Infusionspumpen, Spritzenpumpen) (3). Schwerkraftinfusionen weisen ein unterschiedliches Restvolumen auf – abhängig z. B. von Schlauchlänge und Schlauchlumen oder von der Körperposition des Patienten. Das Restvolumen von Infusionspumpen kann höher sein als das von Schwerkraftinfusionen, da bei Pumpen die Infusion stoppt, sobald der Tropfenzähler leergelaufen ist, während bei letzteren das Schlauchsystem teilweise leerlaufen kann. Perfusorspritzensysteme weisen in der Regel das geringste Restvolumen auf, da der Schlauchdurchmesser kleiner ist. Allerdings kann auch hier das Restvolumen in Abhängigkeit von der Schlauchlänge beträchtlich sein (1;4).
Die Höhe des Wirkstoffverlustes hängt neben dem verwendeten Infusionssystem auch von der Menge des zu applizierenden Volumens ab: Je geringer das Volumen ist, desto höher ist der relative Anteil des Restvolumens. Ferner fällt bei höher konzentrierten Infusionen der Wirkstoffverlust durch Restvolumen stärker ins Gewicht als bei geringer konzentrierten (1). In Abhängigkeit vom verwendeten System gehen Untersuchungen von einem Wirkstoffverlust durch Restvolumen in Höhe von 14 bis 40 Prozent aus (5–7).
Die klinische Relevanz von Restvolumen und somit Wirkstoff, der nicht den Patienten erreicht, hängt davon ab, ob es zu einer Unterdosierung mit der Gefahr einer unzureichenden Behandlung des Patienten kommen kann. Dies kann zum Fortschreiten einer Erkrankung (z. B. bei Zytostatika-Gabe) oder im Fall von Antibiotika zur Resistenzbildung beitragen. Reste von Arzneimitteln, die mit dem Beginn einer neuen Infusion versehentlich appliziert werden, können schwerwiegende Konsequenzen haben: Wird bei der nachfolgenden Infusion die Flussrate erhöht, wird der von der vorherigen Infusion verbliebene Rest ungewollt als Bolus appliziert. Wenn versehentlich inkompatible Arzneimittel kombiniert werden, kann Ausfällung resultieren (1;4).
Orientierend wird ein Wirkstoffverlust von fünf bis zehn Prozent als akzeptabel angesehen (1). Im oben dargestellten Fallbeispiel wird ein Restvolumen von etwa 25 Prozent berichtet, sodass statt 12 mg/d Alemtuzumab vermutlich nur 9 mg/d appliziert wurden. Da für die Indikation Multiple Sklerose keine formalen Dosis-Findungs-Studien für Alemtuzumab durchgeführt wurden (8), lässt sich nicht abschätzen, ob aus diesem Restvolumen eine klinisch relevante Unterdosierung resultiert. Der Patient aus dem obigen Fallbeispiel hat inzwischen den zweiten Zyklus mit Alemtuzumab im Folgejahr durchlaufen. Sein Zustand ist nach Auskunft der meldenden Ärztin klinisch und bildmorphologisch (MRT) stabil.
Das Problem des Restvolumens scheint bei Ärzten und Pflegepersonal nicht hinreichend bekannt zu sein (5;7;9;10). Es gibt keine verbindlichen Empfehlungen zum Umgang mit Restvolumina bei Kurzinfusionen. Diskutiert werden verschiedene Lösungsansätze, die alle Vor- und Nachteile haben: Eine generelle Überfüllung von parenteralen Arzneimitteln durch Hersteller oder Apotheker erfolgt nach Informationen des BfArM nicht und kann wegen der unterschiedlichen Infusionssysteme mit unterschiedlichen Restvolumina nicht empfohlen werden. Ein grundsätzlich höheres Infusionsvolumen sollte nur Patienten ohne Flüssigkeitsrestriktion appliziert werden und ist z. B. bei kritisch kranken oder pädiatrischen Patienten wegen der Gefahr der Volumenüberlastung nicht praktikabel. Gerade bei kleinen Volumina sollten wegen des geringeren Restvolumens Perfusorspritzensysteme verwendet werden. Diese sind allerdings nicht für alle Arzneimittel geeignet. Das sogenannte Nachspülen gilt als sicherste Methode, um Wirkstoffverlust zu minimieren. Vorgeschlagen wird das 1,0– bis 1,3-Fache des Restvolumens des verwendeten Infusionsbestecks. Dabei ist neben der Kompatibilität der Spülflüssigkeit auf die Flussrate zu achten, da ein zu rasches Spülen insbesondere bei Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite (z. B. Katecholamine) schwerwiegende Konsequenzen haben kann. Bei vielen Infusionssystemen erfordert das Nachspülen jedoch eine Diskonnektion des Systems mit der Gefahr einer Kontamination. Hilfreich sind hier Systeme mit bereits vorhandener Y-Verbindung zur Sekundärinfusion, die ein „Umstecken“ entbehrlich machen (1). In der Abteilung der meldenden Ärztin wird bei Gabe von Alemtuzumab inzwischen immer im Anschluss an die vierstündige Infusion des in 100 ml 0,9-prozentiger NaCl-Lösung verdünnten Konzentrats mit 50 ml NaCl-Lösung nachgespült. Dabei wird die Flussrate von 25 ml/h berücksichtigt, wodurch sich die Infusionszeit verlängert.
Bei Kurzinfusionen sollte dem Patienten der gesamte Wirkstoff appliziert werden, um eine Unterdosierung mit möglicherweise klinischen Konsequenzen zu vermeiden. Patienten ohne Flüssigkeitsrestriktion sollten Infusionen mit größerem Volumen (mindestens 250 ml) erhalten, da so das Restvolumen relativ sinkt. Bei Patienten mit Flüssigkeitsrestriktion, z. B. auf Intensivstationen, sollten Pumpensysteme mit minimalem Restvolumen verwendet werden (5). Bei kleinen Infusionsvolumina und Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite sollte mit einer geeigneten Flüssigkeit und gleichbleibender Flussrate nachgespült werden. Wünschenswert wären konkrete Empfehlungen zum Umgang mit Restvolumen in den Fachinformationen betroffener Arzneimittel. Bereits in der Ausbildung von Ärzten und Pflegepersonal sollte mehr Gewicht auf den Umgang mit Restvolumina bei Kurzinfusionen gelegt und so das Problembewusstsein erhöht werden.