Risiko von Fehltransfusionen von Erythrozytenkonzentraten („Aus der UAW-Datenbank“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 37, 15.09.2017
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 37, 15.09.2017
In Deutschland wurden im Jahr 2015 knapp vier Millionen Erythrozytenkonzentrate (EK) transfundiert (1). Um eine sichere Anwendung von Blutprodukten zu gewährleisten, ist diese genau geregelt (2;3). Kommt es dennoch zu einer AB0-inkompatiblen Transfusion von EK, können schwerwiegende Transfusionsreaktionen resultieren. Für Fehltransfusionen bestehen gesetzliche Meldeverpflichtungen nach Arzneimittelgesetz (AMG) und Transfusionsgesetz (TFG) (4). Darüber hinaus können sie als Medikationsfehler der AkdÄ im Rahmen eines vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts zur Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern berichtet werden (5). Die Aufarbeitung der Fallberichte dient der Ursachenanalyse und letztlich der Verbesserung der Patientensicherheit.
Der AkdÄ wurde der Fall einer 78-jährigen Patientin gemeldet, für die wegen Anämie einen Tag nach einer orthopädischen Operation zwei Erythrozytenkonzentrate (EK) der Blutgruppe A, Rhesus negativ angefordert und nach Bedside-Test transfundiert wurden. Die Patientin vertrug die Transfusion gut.
Am Folgetag fiel in der Blutbank auf, dass zwei EK der Blutgruppe A, Rhesus negativ überzählig waren und zwei EK der Blutgruppe B, Rhesus positiv fehlten. Ursache hierfür war eine Verwechslung von EK für die oben genannte Patientin in der Blutbank: Die MTA hatte zwei falsche EK herausgegeben, allerdings zusammen mit den für die Patientin passenden Begleitscheinen. Der transfundierende Arzt führte einen Bedside-Test durch, der ihm eine Übereinstimmung der Blutgruppe der Patientin mit der Blutgruppe auf dem Blutgruppenschein und den Konservenbegleitscheinen (Blutgruppe A) zeigte. Ein Abgleich zwischen den EK und den Begleitscheinen wurde aber nicht vorgenommen und so die Verwechslung nicht entdeckt. Der Patientin wurden dann zwei inkompatible EK (B, Rhesus positiv) transfundiert. Nach Entdeckung des Fehlers wurde die Patientin auf die Intensivstation übernommen und engmaschig überwacht. Eine Transfusionsreaktion entwickelte sie auch im Verlauf nicht.
EK werden in der Regel AB0-gleich transfundiert. In Ausnahmefällen (z. B. Notfall- oder Massivtransfusionen) sind AB0-ungleiche, jedoch major-kompatible EK-Transfusionen möglich (siehe Tabelle 1) (2;3;6). Im vorliegenden Fall (Transfusion von EK der Blutgruppe B, Rhesus positiv auf Patientin mit Blutgruppe A, Rhesus negativ) lag eine AB0- und Rhesus-inkompatible Konstellation vor.
Zu den unerwünschten Wirkungen von EK-Transfusionen zählen unter anderem akute und verzögert auftretende hämolytische Transfusionsreaktionen. Akute hämolytische Transfusionsreaktionen sind meistens Folge von AB0-inkompatiblen (Fehl-)Transfusionen und werden durch Alloantikörper im Serum des Empfängers gegen Antigene auf den transfundierten Erythrozyten verursacht. Die Symptome sind vielfältig und können z. B. Hämolyse, Rücken-/Flanken-/Brustschmerzen, Schock, Nierenversagen und Verbrauchskoagulopathie umfassen (1;6;7). Akute hämolytische Transfusionsreaktionen treten innerhalb von 24 Stunden nach Transfusion auf. Dem gegenüber können sich verzögert auftretende hämolytische Transfusionsreaktionen in einem Zeitraum von über 24 Stunden bis zu 28 Tagen nach der Transfusion manifestieren (1). Verzögert auftretende hämolytische Transfusionsreaktionen werden durch die Boosterung von Alloantikörpern verursacht, die zum Zeitpunkt der Transfusion nicht nachweisbar waren (6;7). Um eine solche verzögert auftretende Transfusionsreaktion ggf. rasch zu erkennen, wurde die Patientin aus dem Fallbeispiel engmaschig überwacht. Es traten auch im Verlauf mehrerer Wochen keine Hämolysezeichen auf. Die Haptoglobinwerte waren immer hochnormal bis erhöht.
Neben international publizierten Fallberichten zu Fehltransfusionen (8–10) liegen auch im deutschen Spontanmeldesystem Fallberichte von Fehltransfusionen vor: Gemäß dem Hämovigilanzbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) wurden im Jahr 2015 58 Fehltransfusionen (einschließlich Berichte ohne schwerwiegende Schädigung) gemeldet. Dies entspricht einer Rate von 13,6 Berichten von Fehltransfusionen pro einer Million transfundierter EK (1). Da im Rahmen des Spontanmeldesystems trotz der gesetzlichen Meldeverpflichtung vermutlich nicht alle Fehltransfusionen berichtet werden, dürfte die tatsächliche Häufigkeit höher sein. Kommt es zur Fehltransfusion, kann diese schwerwiegende Folgen für die betroffenen Patienten haben: Im Zusammenhang mit Fehltransfusionen wurden dem PEI im Jahr 2015 auch drei Todesfälle berichtet (1). Wenn es zu einer Fehltransfusion kommt, liegt meist nicht ein einzelner Fehler zugrunde, sondern eine Verkettung ungünstiger Umstände (11). Daher ist eine sorgfältige Ursachenanalyse erforderlich, um mögliche Fehlerquellen (z. B. fehleranfällige Abläufe, unzureichende Kontrollmechanismen) zu identifizieren und möglichst zu beheben. Die Auswertung von Fallberichten zu Fehltransfusionen, die direkt der AkdÄ gemeldet wurden, zeigen Fehler auf verschiedenen Ebenen: Wie im vorliegenden Fall wurde auch in einem weiteren Fall von der Herausgabe falscher EK durch die Blutbank berichtet. Ursächlich hierfür kann neben Hektik z. B. eine Namensähnlichkeit von Patienten sein. Die genaue Prüfung der EK und Begleitscheine sowie der Abgleich mit den Patientendaten bei der Aushändigung von EK durch die Blutbank sowie direkt vor der Transfusion sollen die Verwechslungsgefahr verringern. Es sollten stets alle EK und Begleitscheine geprüft werden: In einem Fallbericht hat der transfundierende Arzt zwar das oberste der beiden zur Transfusion vorgesehenen EK sorgfältig geprüft. Beim darunter liegenden (falschen) EK hatte er jedoch nur die letzten Ziffern verglichen. Als weiterer Kontrollmechanismus zur Vermeidung einer inkompatiblen Transfusion dient der vorgeschriebene Bedside-Test. Dieser kann jedoch fehlinterpretiert werden, wie Fallberichte in der Datenbank der AkdÄ und in der Literatur zeigen (12). Entwickelt ein Patient nach einer Transfusion Symptome, sollte immer die Möglichkeit einer Transfusionsreaktion erwogen werden: So muss z. B. eine Schocksymptomatik nicht unbedingt Ausdruck des blutungsbedingten Volumenmangels (mit der Notwendigkeit weiterer Transfusionen) sein, sondern sie könnte Zeichen einer akuten hämolytischen Transfusionsreaktion sein.
Um Verwechslungen als (vermeidbare) Fehlerursache im klinischen Setting zu minimieren, wurden einige Maßnahmen zur Identitätssicherung eingeführt, für welche der anfordernde bzw. transfundierende Arzt verantwortlich ist. Daneben muss das Labor nach den serologischen Verträglichkeitsproben den EK entsprechende Begleitscheine beifügen und deren die verwechslungsfreie Zuordnung zu den EK sicherstellen (siehe Tabelle 2) (2;3).
Der dargestellte Fall zeigt, dass auch in Situationen mit klaren Vorschriften, wie beim Transfundieren von Blutbestandteilen, Fehler auftreten können. Diese können schwerwiegende Folgen für Patienten haben. Meist ist in solchen Fällen nicht ein einzelner Fehler ausschlaggebend für die Manifestation des Fehlers, sondern eine Verkettung mehrerer ungünstiger Umstände mit Versagen verschiedener Kontrollmechanismen (11). Die AkdÄ möchte mit der Darstellung dieser Kasuistik und den Beispielen zu Fehlerursachen aus anderen Fallberichten die Aufmerksamkeit für die Risiken im Transfusionswesen schärfen.
Fehltransfusionen müssen gemäß den gesetzlichen Bestimmungen gemeldet werden (4). Darüber hinaus können Fehltransfusionen und andere Medikationsfehler der AkdÄ berichtet werden. Durch eine zentrale Fehleranalyse sollen Ursachen und Risikofaktoren identifiziert und nach Möglichkeit Maßnahmen zur Risikominderung abgeleitet werden. Nur durch eine gründliche Aufarbeitung kann eine Wiederholung verhindert und die Patientensicherheit verbessert werden.