SAPHO-Syndrom im Zusammenhang mit Isotretinoin („Aus der UAW-Datenbank“)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 119, Heft 16, 22.04.2022
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 119, Heft 16, 22.04.2022
Isotretinoin wird zur oralen Behandlung schwerer Formen von Akne wie nodulärer Akne, Acne conglobata oder Akne mit Gefahr dauerhafter Narbenbildung angewendet, wenn Therapieresistenz gegenüber der systemischen Therapie mit Antibiotika und topischer Behandlung besteht (1). Isotretinoin gehört zur Gruppe der Retinoide (Vitamin A-Derivate) und wird sowohl systemisch als auch topisch angewendet. Im Jahr 2020 wurden 6,3 Millionen definierte Tagesdosen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet (2).
Die vollständige Aufklärung des Wirkmechanismus steht noch aus. Bekannt ist, dass Isotretinoin die Proliferation der Sebozyten (Epithelzellen der kutanen Talgdrüsen) hemmt und offenbar das gestörte zelluläre Differenzierungsprogramm wiederherstellt (1). Die Talgproduktion und die Größe der Talgdrüsen werden reduziert. Auch wurde eine antientzündliche Wirkung auf die Haut gezeigt (1;3;4), die über eine Normalisierung von Toll-like-Rezeptor 2 (TLR-2) vermittelten Immunantworten gegen Propionibacterium acnes erklärt wird (4). Ein im Plasma identifizierter Hauptmetabolit von Isotretinoin ist Tretinoin (all-trans-Retinolsäure) (1). Einer Hypothese zufolge führt dessen Bindung an den Retinsäure-Rezeptor alpha über eine intrazelluläre Signalkaskade zur Apoptose. Diese scheint verantwortlich für die erwünschte verminderte Talgproduktion zu sein, aber auch für das breite Spektrum teils schwerer Nebenwirkungen von Isotretinoin – einschließlich seiner Teratogenität (5). Der erfolgreiche Einsatz von Retinoiden in Therapieprotokollen zur Behandlung der akuten Promyelozytenleukämie, kutaner Lymphome und des Neuroblastoms beruht sowohl auf einer Induktion von Zelldifferenzierung als auch auf dem Apoptose-Effekt (5, 6, 7). Unterschiede in der Ausprägung von Wirkungen und Nebenwirkungen lassen sich durch genetische Polymorphismen erklären, die beispielsweise über eine Modifikation des Retinsäure-Rezeptors zu einer veränderten Signalinduktion führen (5).
Der AkdÄ wurde der Fall eines 14-jährigen Jungen gemeldet, der aufgrund einer Acne fulminans mit Isotretinoin in oraler Form (Aknenormin®) behandelt wurde. Darunter kam es innerhalb von drei Wochen zu einer Gewichtsabnahme von 10 kg und einer erheblichen Verschlechterung des Hautzustands. Es wurde eine Therapie mit Methylprednisolon in ausschleichender Dosierung eingeleitet und die Isotretinoin-Dosis von 40 mg/Tag auf 10 mg/Tag reduziert. Innerhalb von drei weiteren Wochen kam es bei nun stabilem Gewicht zu rezidivierendem Fieber bis 39°C bei weiter bestehender Acne fulminans mit Verdacht auf Superinfektion sowie multiplen, teils sehr schmerzhaften Arthralgien (Schultern, Thorax-Skelett, Brustbein, Ellenbogen, rechtes Handgelenk, Hüfte, Knie) und Myalgien, und der Patient wurde stationär aufgenommen. Im Blut fanden sich deutliche Entzündungszeichen (CRP 61 mg/dl, BSG 90 mm/h, Leukozytose). Rheumafaktor-IgM, ANA und ANCA waren im Serum negativ. Im MRT zeigten sich multiple Osteitisherde, passend zu einem SAPHO-Syndrom. Die Behandlung mit Isotretinoin wurde pausiert und eine orale Therapie mit Clindamycin 3 x 450 mg/d sowie Erythromycin-Lösung lokal begonnen. Ferner erhielt der Patient Ibuprofen 600 mg 3x täglich, worunter sich die Symptomatik deutlich besserte, sodass er in stabilem, afebrilem Zustand entlassen werden konnte.
Differenzialdiagnostisch kamen sowohl ein SAPHO-Syndrom als auch eine Acne fulminans infrage. Es wurde ein kausaler Zusammenhang mit Isotretinoin vermutet. Daher wurde die Behandlung mit Isotretinoin während des stationären Aufenthalts nicht wieder aufgenommen.
Das SAPHO-Syndrom (Synovitis, Acne pustulosa, Pustulose, Hyperostose, Osteitis) ist charakterisiert durch die Assoziation von Knochen- und Hautmanifestationen und kann subakut, rezidivierend oder chronisch verlaufen (8;9). Zentral sind Hyperostose und sterile Osteitis, die bei Erwachsenen am häufigsten die vordere Brustwand betreffen, gefolgt von der Wirbelsäule und den Iliosakralgelenken (8, 9, 10, 11, 12). Bei Kindern sind die langen Extremitätenknochen am häufigsten betroffen (9).
Hautmanifestationen wie palmoplantare Pustulose, schwere Akne, Psoriasis pustulosa oder vulgaris und Hidradenitis suppurativa können den skelettalen Symptomen vorangehen, gleichzeitig oder später auftreten. Weitere Manifestationen wie Fieber, erhöhte Entzündungsparameter, Uveitis und entzündliche Darmerkrankungen sind möglich (8, 9, 10, 11, 12).
Das mit einer geschätzten Prävalenz von < 1:10.000 seltene SAPHO-Syndrom tritt in jedem Alter auf, meist jedoch bei Kindern und jungen Erwachsenen. Es kann große Schmerzen und einen hohen Leidensdruck verursachen und zu dauerhaften Schäden führen, wenngleich die Prognose meist relativ günstig ist (8, 9, 10). Die Pathogenese ist noch nicht vollständig geklärt; persistierende Bakterien und immundysregulatorische Prozesse werden ursächlich vermutet (9;10).
Das SAPHO-Syndrom wird überwiegend symptomatisch behandelt, in erster Linie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika. Darüber hinaus werden kurzzeitig verabreichte systemische oder intraartikuläre Steroide, Antibiotika (Doxycyclin, Clindamycin), Immunsuppressiva (MTX, Sulfasalazin, Ciclosporin) und TNF-α-Blocker eingesetzt; kontrollierte klinische Studien zu den Wirkstoffen fehlen (8–10;12). Ein interdisziplinärer Ansatz unter Einbeziehung physikalischer Maßnahmen wird empfohlen (8).
Eine mögliche Differenzialdiagnose zum SAPHO-Syndrom ist die Acne fulminans (13;14). Typischerweise entwickelt sich diese seltene und schwerste Form der Akne akut oder perakut aus einer milderen Akne heraus und geht mit Fieber und schwerem Krankheitsgefühl einher. Weitere diagnostische Kriterien sind die charakteristischen hämorrhagischen Ulzerationen der Haut an Brust und Rücken mit variablem Befall des Gesichts, eine Polyarthritis der großen Gelenke und stark erhöhte Entzündungsparameter. Auch Hepatomegalie, Erhöhung der Transaminasen und deutliche Gewichtsabnahme kommen vor. Als Ausdruck einer Knochenbeteiligung treten unterschiedlich lokalisierte osteolytische Läsionen auf (13, 14, 15). Die Acne fulminans kann erfolgreich mit einer Kombination aus Isotretinoin und Kortikosteroiden behandelt werden (13;14).
Gemäß Fachinformation von Isotretinoin zählen Arthralgien und Myalgien zu den sehr häufigen Nebenwirkungen, während das SAPHO-Syndrom nicht ausdrücklich als Nebenwirkung aufgeführt wird. Allerdings werden als sehr seltene Nebenwirkungen ein Aufflammen der Akne, Acne fulminans, Arthritis, Hyperostosen und entzündliche Darmerkrankungen genannt sowie Sakroiliitis als Nebenwirkung mit unbekannter Häufigkeit (1). Möglicherweise verbergen sich hinter solchen Berichten auch Fälle von nicht diagnostiziertem bzw. abortivem SAPHO-Syndrom.
Im vorliegenden Fall lässt sich nicht eindeutig klären, ob – induziert durch Isotretinoin – primär ein SAPHO-Syndrom mit exazerbierter Akne vorlag oder ob sich eine Acne fulminans mit für das SAPHO-Syndrom typischen Begleitsymptomen entwickelte. Der zeitliche Zusammenhang mit dem Ansetzen von Isotretinoin und der Besserung nach dessen Absetzen und unter antibiotischer und antiphlogistischer Therapie spricht für einen kausalen Zusammenhang. In der Literatur finden sich weitere kasuistische Berichte von SAPHO-Syndrom und Acne fulminans im Zusammenhang mit Isotretinoin (11;13;15;16). Dies deutet darauf hin, dass das SAPHO-Syndrom entweder eine direkte Nebenwirkung von Isotretinoin sein kann oder als Folge einer durch Isotretinoin verschlimmerten Akne auftreten könnte.
Auch in der Literatur werden einzelne Fälle berichtet, in denen unter Isotretinoin osteoartikuläre Veränderungen mit Osteitis der vorderen Brustwand sowie Sakroiliitis auftraten, die bei gleichzeitiger schwerer Akne zur Diagnose eines SAPHO-Syndroms führten (11;16). Diese Kasuistiken deuten ebenso wie der vorliegende Fallbericht auf die seltene Möglichkeit eines kausalen Zusammenhanges zwischen Isotretinoin und SAPHO-Syndrom hin. Bei Auftreten entsprechender Symptome nach Gabe von Isotretinoin sollte daher nicht nur die Acne fulminans als bekannte Nebenwirkung, sondern auch das SAPHO-Syndrom differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden. Im hier vorgestellten Fall führte die Beendigung der Isotretinoin-Therapie in Verbindung mit kurzzeitiger Gabe von Methylprednisolon, Clindamycin, topischer Erythromycin-Lösung und Ibuprofen zu einer Kontrolle der Symptomatik.
Bitte teilen Sie der AkdÄ Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können online über unsere Website www.akdae.de melden oder unseren Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird.
Literatur