Suizidalität unter der Behandlung mit 5-Fluorchinolon-Antibiotika (Aus der UAW-Datenbank)

Zu den Aufgaben der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) gehören

die Erfassung, Dokumentation und Bewertung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW).

Die AkdÄ möchte Sie regelmäßig über aktuelle Themen aus der Arbeit ihres

UAW-Ausschusses informieren und hofft, Ihnen damit wertvolle Hinweise für den

Praxisalltag geben zu können.

Medikamente können Depressionen und Suizidalität erzeugen. Zu derartigen Substanzen

gehören zum Beispiel Interferone, Mefloquin, möglicherweise SSRI und sicher

Fluorchinolone.

Die 5-Fluorchinolone werden in großem Umfang (27 Mio. DDD/Jahr) verordnet (1). Über ihr

UAW-Spektrum ist die Ärzteschaft durch zahlreiche Publikationen und die Fachinformationen

gut informiert. In dem gemeinsam vom BfArM und der AkdÄ geführten

Spontanerfassungssystem sind seit 1990 zu dieser Substanzgruppe 4 825 UAW-Meldungen über

403 Präparate (Stichtag 19. 2. 2004) eingegangen. Im Vordergrund der Meldungen stehen

neben Störungen des Verdauungstraktes (35,5 Prozent) und des Muskel- und Skelettsystems

(17,9 Prozent) psychiatrische Störungen (30,6 Prozent). Unter den Letzteren wird der

Suizidversuch mit 0,5 Prozent relativ zur Gesamtzahl der Berichte angegeben. Dies findet

auch Ausdruck in verschiedenen Fachinformationen, zum Beispiel zu

Ciprofloxacin-ratiopharm, in der „psychotische Reaktionen (bis hin zur

Selbstgefährdung)“ genannt werden. Weiterhin ist vermerkt, dass „diese

Reaktionen teilweise schon nach Erstanwendung auftraten“. Bei Moxifloxacin (Avalox®)

fehlt bislang ein Hinweis auf mögliche Suizidalität. In der Fachinformation zu Ofloxacin

(Tarivid®) ist unter der Rubrik „Nebenwirkungen“ aufgeführt, dass psychotische

Reaktionen bis hin zu Selbstgefährdung auftreten können. Dennoch scheinen gerade diese

Nebenwirkungen nicht ausreichend bekannt zu sein. Deshalb möchten wir die folgenden

Fälle aus der UAW-Datenbank darstellen:

Ein Patient wurde in den letzten Jahren mehrfach mit Ciprofloxacin beziehungsweise

Moxifloxacin behandelt. Er hatte die Medikation bislang problemlos vertragen. Während der

erneuten Ciprofloxacin-Einnahme trat bei ihm eine depressive Verstimmung auf. Er erhielt

dreimal täglich 250 mg Ciprofloxacin oral wegen einer schweren akuten Prostatitis für

insgesamt acht Tage. Sechs Tage nach Absetzen der Medikation wachte der Patient nachts

plötzlich auf mit dem fast imperativen Drang, sich umzubringen, und zwar durch Erhängen.

Er wurde bereits stranguliert von der Ehefrau in letzter Sekunde gerettet. Ein eventuell

vorangegangener Suizidversuch wurde verneint. Eine andere über 60-jährige Patientin

berichtete nach Einnahme einer einzigen Tablette Ciprofloxacin (250 mg) über einen

„heftigen Wunsch, sich umzubringen“, und sagte, „wenn sie etwas zur

Selbstvergiftung dagehabt hätte, hätte sie es getan“. Die Patientin war selbst

erschrocken über ihre „Lust auf Selbstmord“, wie sie es bezeichnete. Sie nahm

Ciprofloxacin nicht weiter ein und fand erst drei Monate später den Mut, ihrem

behandelnden Arzt über ihr Erlebnis zu berichten. Die Patientin hatte nie zuvor in ihrem

Leben suizidale Gedanken gehabt; auch in der Familienanamnese gab es keine Suizide.

Eine 55-jährige Patientin, die mit Moxifloxacin behandelt wurde, klagte über

aggressiv-depressive Stimmung mit Suizidideen und Albträumen. Eine weitere Patientin

berichtete nach erstmaliger Einnahme von 400 mg Moxifloxacin über Suizidgedanken.

Bei den hier dargestellten Fallbeschreibungen ist auffällig, dass Patienten betroffen

sind, die nach Absetzen des Medikamentes überrascht und erstaunt waren über die

Tatsache, dass sie Suizidgedanken hatten, ein Phänomen, welches ihnen bis zu diesem

Zeitpunkt völlig unbekannt war.

Bereits 1998 wurde basierend auf der AkdÄ vorliegenden Meldungen über 54 auswertbare

UAW-Berichte zur Suizidalität nach Einnahme von Chinolonen berichtet (2). Unter diesem

Begriff wurden geäußerte Todeswünsche, Suizidideen, Suizidabsichten sowie suizidale

Handlungen (Suizidversuche, Suizide) zusammengefasst.

Es ergeben sich u. E. zwei Forderungen. Erstens sollte man bei Patienten mit einer

Vorgeschichte hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten mit der Verordnung von

Fluorchinolonen zurückhaltend sein. Zweitens sollten auch unbelastete Patienten

kurzfristig wiedereinbestellt werden, um sich in einem Gespräch mit ihnen zu versichern,

dass keine psychischen Veränderungen aufgetreten sind.

Wir halten es für möglich, dass eine hohe Dunkelziffer an erfolgreichen Suiziden im

Zusammenhang mit der Einnahme von 5-Fluorchinolonen vorliegt. In jedem Suizid-Fall sollte

eine Blutprobe asserviert und eine Medikamenten-Fremdanamnese erhoben werden. Auf diese

Weise könnte man genauere Informationen über die tatsächliche Häufigkeit von

Suizidfällen nach Behandlung mit 5-Fluorchinolonen, die möglicherweise stark

unterschätzt wird, erhalten.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit.

Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im Deutschen Ärzteblatt auf der

vorletzten Umschlagseite abgedruckten Berichtsbogen verwenden oder diesen aus der

AkdÄ-Internetpräsenz www.akdae.de abrufen.

Literatur

1. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2003. Springer-Verlag Berlin

Heidelberg New York 2004.

2. Wolfersdorf M, Müller-Oerlinghausen B: Gyrasehemmer, Depressivität und Suizidalität.

Münchner Med Wschr. 1998; 140: 113–116.