Tocilizumab (RoActemra®) und das Auftreten von Psoriasis (UAW-News International)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, Heft 14, 04.04.2014
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, Heft 14, 04.04.2014
Aus Fallmeldungen über das Auftreten einer Psoriasis bzw. der Verschlechterung einer bestehenden Psoriasis unter Gabe von Tocilizumab ergibt sich ein Signal für einen möglichen Zusammenhang.
Das seit 2009 in den Markt eingeführte Tocilizumab ist indiziert bei erwachsenen Patienten mit mäßiger bis schwerer aktiver rheumatoider Arthritis, wenn eine vorangegangene Behandlung mit krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (DMARDs) oder Tumornekrosefaktor(TNF)-Inhibitoren nicht ausreichend wirksam war oder nicht vertragen wurde. Es soll in Kombination mit Methotrexat (MTX) angewendet werden oder als Monotherapie, falls MTX wegen Unverträglichkeit oder aus anderen Gründen unangemessen ist. Zugelassen ist Tocilizumab darüber hinaus in bestimmten Situationen bei aktiver systemischer juveniler idiopathischer Arthritis (sJIA) und polyartikulärer juveniler idiopathischer Arthritis (pJIA). Wirksamkeit wurde auch beschrieben für den Morbus Castleman (multizentrische angiofollikuläre Lymphknotenhyperplasie mit hohen Interleukin-6(IL-6)-Serumspiegeln) (1). Nach bisherigem Kenntnisstand ist Tocilizumab nicht wirksam bei ankylosierender Spondylitis (2), zur Psoriasisarthritis gibt es widersprüchliche Einzelfallbeobachtungen (3, 4).
Im Jahr 2012 wurden etwa 1 Mio. definierte Tagesdosen (DDD) von Tocilizumab verordnet (zum Vergleich: MTX 60,5 Mio. DDD), was einer Steigerung um etwa ein Drittel gegenüber dem Vorjahr entspricht (5).
Tocilizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der spezifisch an die α-Kette des Rezeptors von IL-6 bindet und die Signaltransduktion inhibiert. IL-6 wird von verschiedenen Zelltypen produziert, wie T- und B-Zellen, Monozyten und Fibroblasten. Es ist ein proinflammatorisches Zytokin und entscheidend beteiligt an der Stimulation der Hämatopoese und der Produktion von Akut-Phase-Proteinen (CRP) in der Leber sowie an der T-Zell-Aktivierung und der Induktion der Immunglobulinsekretion in Plasmazellen.
Die laut Fachinformation häufigsten Nebenwirkungen von Tocilizumab sind Infektionen des oberen Respirationstrakts, Nasopharyngitis, Kopfschmerzen, Hypertonie und Erhöhungen der ALAT (GPT). Zu den schwerwiegenden Reaktionen zählen schwere, z. T. tödlich verlaufende Infektionen, Komplikationen einer Divertikulitis und Überempfindlichkeitsreaktionen (6). Bei infektiösen Komplikationen muss beachtet werden, dass das C-reaktive Protein (CRP) unter Behandlung mit Tocilizumab kein verwertbarer Parameter ist, da die Sekretion von CRP unterdrückt wird. Als mögliche Reaktionen an der Haut werden in der Fachinformation Exanthem, Pruritus und Urtikaria als "häufig" angegeben, also bei einem von 10 bis 100 behandelten Patienten.
Aktuell gibt es ein Signal für einen möglichen Zusammenhang zwischen der Gabe von Tocilizumab und dem Auftreten einer Psoriasis bzw. der Verschlechterung einer bestehenden Psoriasis. Das Signal, also der Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang, beruht auf Spontanmeldungen wie zwölf Verdachtsberichten in der europäischen Datenbank für Verdachtsfälle von Nebenwirkungen (www.adrreports.eu/index.html) sowie vier publizierten Fallberichten (7–9). Der AkdÄ wurde ein ähnlicher Fall gemeldet, der im Kasten dargestellt wird.
Berichtet wird über eine 58-jährige normalgewichtige Patientin bei der seit zwei Jahren eine seropositive und ACPA-positive rheumatoide Arthritis (RA) bekannt ist (AkdÄ-Fall Nr. 157176). An Nebendiagnosen bestanden eine mittelschwere chronische Niereninsuffizienz (Krea 1,5 mg/dl, GFR 37 ml/min), eine hypochrome, normozytäre Anämie (Hb 8,9 g/dl), eine arterielle Hypotonie und ein Short-Segment-Barrett-Oesophagus. Anamnestisch wird Nikotinkonsum berichtet. Die Patientin wurde stationär aufgenommen wegen ausgeprägter entzündlicher Aktivität der RA (BSG > 110 mm, CRP 104 mg/l) mit Beteiligung der Handgelenke, Fingergrundgelenke (MCP), Ellenbogen- und Kniegelenke. Auf eine Behandlung mit dem TNF-alpha-Blocker Infliximab, der zuletzt vier Wochen zuvor verabreicht wurde, hatte die Symptomatik nicht angesprochen. Methotrexat wurde vermutlich wegen der bestehenden Kontraindikation Niereninsuffizienz nicht eingesetzt. Es erfolgte eine Behandlung mit Tocilizumab (erste Infusion von 480 mg) sowie einem Prednisolonstoß von 30 mg für einen Tag und schrittweiser Reduktion. Unter dieser Behandlung kam es zum Bild einer Psoriasis vulgaris. Die Patientin berichtete, dass vor vielen Jahren bei ihr bereits einmal erythrosquamöse Hautveränderungen aufgetreten waren, eine Diagnose einer Psoriasis damals jedoch nicht gestellt wurde. Da sich unter Tocilizumab die entzündliche Aktivität der RA besserte, wurde die Behandlung fortgesetzt. Die Psoriasis wurde lokal behandelt und bildete sich im weiteren Verlauf zurück.
Im dargestellten Fall war eine Besserung der Psoriasis unter lokalen Therapiemaßnahmen trotz Fortführung von Tocilizumab zu verzeichnen. In einem der publizierten Fälle kam es zu einer deutlichen Besserung nach Absetzen von Tocilizumab (sog. positives Dechallenge). In einem anderen Fall führte nach Absetzen die erneute Gabe auch zum erneuten Aufflackern der Psoriasis (sog. positives Rechallenge) (7). Die Besserung einer vermuteten Nebenwirkung nach Absetzen des Arzneimittels und vor allem das erneute Auftreten nach Reexposition erhärten den Verdacht auf einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Arzneimittel und der beobachteten Nebenwirkung.
Die Psoriasis ist eine komplexe Autoimmunerkrankung, die bei entsprechender genetischer Prädisposition auftreten kann. Da Tocilizumab den IL-6-Signalweg hemmt, ist die Beobachtung eines möglichen Zusammenhangs überraschend, weil IL-6 möglicherweise bei der Psoriasisentstehung eine Rolle spielt (10, 11). Auch für TNF-alpha-Blocker gibt es Hinweise, dass sie zu einer erhöhten Psoriasisinzidenz führen können, obwohl es andererseits klare Evidenz für deren Wirksamkeit in der Psoriasisbehandlung gibt (12). Bei einzelnen der berichteten Fälle von Tocilizumab und Psoriasis handelte es sich um die eher seltene Psoriasis guttata. In diesen Fällen könnte die Psoriais auch als isomorpher Reizeffekt ("Köbner-Phänomen") im Sinne einer Manifestation eines Arzneimittelexanthems verstanden werden. Da Exantheme in der Fachinformation als häufige Nebenwirkungen aufgeführt werden, könnten einige der Fälle so plausibel erklärt werden.
Einige publizierte Fallberichte sowie Spontanmeldungen deuten darauf hin, dass es im Zusammenhang mit der Anwendung des Anti-Interleukin-6-Antikörpers Tocilizumab in seltenen Fällen zum erstmaligen Auftreten einer Psoriasis oder zur Verschlechterung einer bereits bestehenden Psoriasis kommen kann, jedoch ist ein kausaler Zusammenhang derzeit nicht gesichert. Ein Pathomechanismus für diese fragliche Nebenwirkung ist bislang nicht bekannt. Ob die Behandlung mit Tocilizumab bei Auftreten oder Verschlechterung einer Psoriasis fortgeführt werden kann, muss jeweils im Einzelfall entschieden werden. Wenn derartige Fälle beobachtet werden, sollten sie der AkdÄ gemeldet werden, z. B. über die das elektronische Meldeformular auf der Homepage (www.akdae.de).