Bei älteren Patienten werden Antipsychotika neben der Behandlung von Schizophrenien insbesondere zur Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen wie Aggression und Agitation im Rahmen von Demenzerkrankungen verordnet. Dabei werden sowohl typische (ältere) Antipsychotika, wie z. B. Haloperidol, als auch atypische (neuere) Antipsychotika wie Risperidon eingesetzt (1).
Die Gabe von Antipsychotika bei älteren dementen Patienten ist jedoch mit Risiken verbunden. Neben den bekannten extrapyramidalen, kardialen und orthostatischen Nebenwirkungen ist das Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfälle erhöht (2). Eine erhöhte Mortalität bei älteren dementen Patienten, die zunächst im Zusammenhang mit der Gabe von atypischen Antipsychotika auffällig war und in die Fachinformationen aufgenommen wurde, konnte später auch für die typischen bzw. klassischen Antipsychotika gezeigt werden (3, 4). Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA weist in ihrem Bewertungsbericht darauf hin, dass die Gründe für die Mortalitätserhöhung nicht eindeutig geklärt sind (5). Möglicherweise spielen plötzliche Herztode durch QT-Verlängerung, Aspirationspneumonien, thromboembolische und zerebrovaskuläre Ereignisse sowie Folgeerscheinungen vermehrter Stürze eine Rolle.
Eine aktuell publizierte Fallkontrollstudie hat jetzt den Zusammenhang zwischen der Antipsychotikagabe bei älteren Patienten und dem Auftreten ambulant erworbener Pneumonien (Community-Acquired Pneumonia, CAP) untersucht (6). Die Studie wurde anhand einer niederländischen Datenbank (Integrated Primary Care Information Database, IPCI) durchgeführt, in der die elektronischen Patientenakten von mehr als 500.000 Patienten aus mehr als 300 allgemeinmedizinischen Praxen gespeichert sind. In dieser Datenbank wurden alle Patienten im Alter von 65 Jahren oder älter identifiziert, die zwischen 1996 und 2006 erstmalig ein Antipsychotikum eingenommen haben. Aus dieser Kohorte wurden die Patienten als "Fälle" ausgewählt, die im Untersuchungszeitraum an einer ambulant erworbenen Pneumonie erkrankt sind. Diesen "Fällen" wurden nach Alter, Geschlecht und Datum der ersten Pneumoniesymptome (Indexdatum) jeweils bis zu 20 Kontrollpatienten zugeordnet, die keine Pneumonie hatten. Untersucht wurde das Risiko einer ambulant erworbenen Pneumonie in Abhängigkeit vom Zeitraum der Einnahme des Antipsychotikums (aktuell oder bis 30 Tage vor dem Indexdatum/30 Tage bis 6 Monate vor dem Indexdatum/länger als 6 Monate vor dem Indexdatum) sowie vom Typ des eingenommenen Antipsychotikums.
Es wurden 2560 Patienten in der untersuchten Altersgruppe erfasst, die im Beobachtungszeitraum erstmals ein Antipsychotikum eingenommen hatten. Von diesen Patienten bekamen 2263 (88,4 %) ein typisches und 277 (10,8 %) ein atypisches Antipsychotikum, 20 Patienten erhielten eine Kombination aus typischem und atypischem Antipsychotikum. Einschränkend muss angemerkt werden, dass diese Medikationsdaten auf Verschreibungen beruhen und nicht auf dokumentierten Einnahmen. Bei 264 Patienten trat eine Pneumonie auf, davon mussten 56 (21,7 %) stationär behandelt werden, bei 65 Patienten (25,2 %) verlief die Erkrankung tödlich. Die Inzidenzrate von Pneumonien lag bei 1,12 Fällen pro 100 Patientenmonate unter Behandlung mit einem atypischen und bei 0,78 Fällen unter einem typischen Antipsychotikum. Das Pneumonierisiko war erhöht bei Patienten, die ihre Wohnung nicht selbstständig verlassen können, sowie bei Patienten mit COPD, Diabetes mellitus, Hypertonie, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und M. Parkinson. Auch eine Begleitmedikation mit Antikoagulanzien, Steroiden, trizyklischen Antidepressiva und Opioiden war mit einem erhöhten Risiko für eine Pneumonie assoziiert.
Von den Patienten mit einer ambulant erworbenen Pneumonie wurden 258 mit 1689 Kontrollen verglichen ("gematcht"). Dabei zeigte sich, dass die aktuelle Einnahme von typischen oder atypischen Antipsychotika gegenüber der länger zurückliegenden Einnahme (mehr als sechs Monate) mit einem erhöhten Risiko für eine Pneumonie verbunden war. So betrug das Chancenverhältnis (Odds Ratio, OR) für Atypika 2,61 [95%-Konfidenzintervall 1,48-4,61] und für klassische Antipsychotika 1,76 [1,22-2,53] im Vergleich zu einer mindestens sechs Monate zurückliegenden Antipsychotikamedikation. In Bezug auf tödlich verlaufende Lungenentzündungen ergab sich sogar ein Chancenverhältnis von sechs für Atypika (OR 5,97 [1,49-23,98]), wobei das breite Konfidenzintervall die Unsicherheit über das Ausmaß des Effekts zeigt. Die laufende Einnahme klassischer Antipsychotika war demgegenüber nichtstatistisch signifikant mit dem Risiko für tödliche Pneumonien assoziiert (OR 1,71 [0,76-3,87]).
Bei einer Analyse der chemischen Gruppen der klassischen Antipsychotika war das Risiko einer Pneumonie bei Butyrophenonen nur leicht erhöht, während die Einnahme von Phenothiazinen mit einer vierfachen Erhöhung des Risikos verbunden war. Bei den einzelnen Wirkstoffen war das Risiko unter Risperidon am höchsten. Das Pneumonierisiko war in der ersten Woche der Einnahme am höchsten und abhängig von der verordneten Dosis.
Die Ursachen für das erhöhte Pneumonierisiko unter Einnahme von Antipsychotika sind nicht abschließend geklärt. Zwar ist denkbar, dass die extrapyramidalen Effekte der konventionellen Neuroleptika einen Risikofaktor für eine Aspiration darstellen, jedoch spricht das höhere Risiko unter den Atypika für andere bzw. zusätzliche relevante Mechanismen. So können die anticholinergen Effekte über einen verminderten Speichelfluss zu einem gestörten oropharyngealen Nahrungstransport führen und so zu einer Aspiration beitragen. Auch sedierende Effekte im zentralen Nervensystem kommen als Ursache für Schluckstörungen infrage. Da eine medikamentöse Therapie mit Antipsychotika bei älteren Patienten häufig wegen des Auftretens neuer Symptome wie Agitiertheit oder Verwirrtheit begonnen wird, bleibt auch zu diskutieren, ob diese Symptome oder eine zugrundeliegende Verschlechterung des Gesamtzustands unabhängig von der Behandlung mit Antipsychotika bereits zu einem erhöhten Risiko für eine Pneumonie beitragen.
Der Nutzen einer Behandlung von älteren und insbesondere dementen Patienten mit Antipsychotika sollten gegenüber den Risiken im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden. Aus der vorliegenden Studie lässt sich ableiten, dass vor allem zu Beginn der Behandlung und bei Einsatz höherer Dosierungen eine engmaschige Überwachung der Patienten ratsam ist.
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder über die Homepage der AkdÄ abrufbar ist. Es besteht auch die Möglichkeit, über www.akdae.de direkt online einen UAW-Verdachtsfall zu melden.
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (Hrsg.): S3-Leitlinie "Demenzen" (Langversion): media.dgppn.de/mediadb/media/dgppn/pdf/leitlinien/s3-leitlinie-demenz-lf.pdf. Bonn, November 2009. Zuletzt geprüft: 11. Mai 2010.
- Douglas IJ, Smeeth L: Exposure to antipsychotics and risk of stroke: self controlled case series study. BMJ 2008; 337: a1227.
- Gill SS, Bronskill SE, Normand SL et al.: Antipsychotic drug use and mortality in older adults with dementia. Ann Intern Med 2007; 146: 775-86.
- Schneeweiss S, Setoguchi S, Brookhart A et al.: Risk of death associated with the use of conventional versus atypical antipsychotic drugs among elderly patients. CMAJ 2007; 176: 627-32.
- EMA: CHMP assessment report on conventional antipsychotics: www.ema.europa.eu/pdfs/human/opiniongen/Conventional_%20Antipsychotics_Article5.3-Appendix1-CHMPAR.pdf. London, 20 November 2008. Zuletzt geprüft: 11. Mai 2010.
- Trifiro G, Gambassi G, Sen EF et al.: Association of community-acquired pneumonia with antipsychotic drug use in elderly patients: a nested case-control study. Ann Intern Med 2010; 152: 418-40.