Hantavirale Erkrankungen

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2018

Infections with hantavirus

Autor

Zusammenfassung

Übersicht über Hantavirus-Erkrankungen: Inzidenz, Subtypen, Diagnostik, Therapie und Prophylaxe werden diskutiert.

Abstract

Review of infections with hantavirus: incidence, subtypes, diagnosis, therapy and phrophylaxis are discussed.

Einleitung

Der Name Hantavirus geht zurück auf den Hantaan-Fluß im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südkorea. Hier waren während des Koreakrieges einige hundert US-Soldaten an einem bis dahin unbekannten hämorrhagischen Fieber mit Nierenversagen erkrankt. Im Jahre 1978 gelang es Ho Wang Lee den verursachenden Erreger in Form eines Bunyavirus zu isolieren (1). Die Übertragung der Viren erfolgt durch Inhalation von getrocknetem Kot oder Urin infizierter Nagetiere. Die Nagetiere scheinen nicht klinisch zu erkranken, jedoch deuten Untersuchungen darauf hin, dass die Infektion mit einer verminderten Fruchtbarkeit einhergeht. Evolutionsgeschichtlich ist eine enge Koevolution zwischen den Erregern und ihrem jeweiligen Primärwirt zu verzeichnen. Verwandte Nagetierspezies können zwar experimentell infiziert werden, spielen in der Natur als Überträger aber zumeist keine Rolle. Mensch-zu-Mensch-Übertragungen sind prinzipiell möglich, jedoch extrem selten beobachtet worden. Für den in Deutschland dominanten Puumala-Subtyp kann deshalb die Rötelmaus (Myodes glareolus) als alleiniger Überträger angesehen werden. Die Isolation und Anzucht der Viren ist schwierig und nur unter hohen Sicherheitsstandards möglich, weshalb Aussagen zur Verbreitung der Viren zu einem großen Teil auf serologischen Untersuchungen beruhen. Hiernach scheint es so zu sein, dass Hantaviren weltweit vorkommen. Die durch sie hervorgerufenen Erkrankungen lassen sich im Wesentlichen in zwei Gruppen unterteilen:

  • hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom (HFRS) und
  • hantavirales pulmonales Syndrom (HPS).

Ersteres wird durch die asiatisch-europäischen Subtypen verursacht, letzteres durch die auf dem amerikanischen Kontinent beheimateten Subtypen.

Durch Hantaviren verursachte Erkrankungen

1. HFRS

Die Erkrankung beginnt meist plötzlich mit Fieber, Übelkeit, Kopfschmerzen, Myalgien und Schüttelfrost. Schwere abdominale Schmerzen und Myalgien sind vergesellschaftet mit zunehmendem Auftreten von Übelkeit und Erbrechen. Außerdem kann es zu flächigen Blutungen im Bereich der Extremitäten, des Stammes und der Schleimhäute des Nasenrachenraumes kommen. Laborchemische Untersuchungen ergeben in der Regel eine leicht ausgeprägte Leukozytose mit reaktiver Linksverschiebung, gepaart mit einer Thrombozytopenie, einem leicht erhöhten Hämatokrit und einem Anstieg des Serumkreatinins. Zwischen Tag drei und sieben tritt häufig eine Verschlechterung der klinischen Symptomatik mit Kreislaufschock, Hypotension, Tachykardien und Flüssigkeitsextravasion auf. Laborchemisch lassen sich eine ausgeprägte Leukozytose mit Linksverschiebung, steigender Hämatokrit (Volumenverlust in den dritten Raum), eine moderate Thrombozytopenie (bis ca. 50.000/µl), Störungen der plasmatischen Gerinnung, Hämaturie sowie beginnende Proteinurie registrieren. In der Folge kommt es aufgrund eines ausgeprägten Tubulusschadens zum oligurischen Nierenversagen mit Anstieg der Retentionswerte. In dieser Phase auftretende Hirn- oder Magen-Darm-Blutungen haben eine schlechte Prognose. Die Letalitätsraten betragen abhängig von Virussubtyp und der Möglichkeiten der medizinischen Versorgung bis zu 25 %. Bei den durch den Puumala-Subtyp verursachten Erkrankungen in Mittel- und Nordeuropa liegt sie bei unter 1 %, bei den durch den Dobrava-Belgrad-Subtyp verursachten Erkrankungen in Zentral- und Südosteuropa bei rund 3 %. Bei den durch die europäischen Subtypen verursachten Erkrankungen ist zwar auch eine Thrombozytopenie nachweisbar, ausgeprägte Blutungsneigungen sind aber zumeist nicht vorhanden. Historisch wird diese Variante auch als Nephropathia epidemica bezeichnet. Die abschließende Heilung kann mehrere Monate in Anspruch nehmen, wobei es zumeist zu einer kompletten Ausheilung der Krankheit kommt, wenn nicht durch Einblutungen oder Infarzierungen sekundäre Organschäden eingetreten sind. Krüger und Kollegen haben die lokale Situation in Deutschland unlängst zusammengefasst (2). Für die Puumala- und Dobrava-Belgrad-Subtypen sind keine renalen Folgeschäden bekannt. Besonders eindeutig zeigten dies Studien in Puumala-Virus(PPUV)-Endemiegebieten, wo in einem großen Kollektiv chronisch niereninsuffizienter Patienten die Häufigkeit der PUUV-Antikörper genauso groß war wie im nicht erkrankten Kontrollkollektiv.

2. HPS

Bei den auf dem amerikanischen Kontinent vorkommenden Formen dominiert neben unspezifischen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Myalgien, Schwäche, Schwindel, abdominalen Schmerzen und Dyspnoe ein schweres Lungenversagen, welches je nach Subtyp und Region mit Letalitätsraten von bis zu 70 % auftritt. Laborchemisch sind eine Thrombozytoypenie, ein gesteigerter Hämatokrit, eine Leukozytose mit reaktiver Linkverschiebung, leicht erhöhte Serumkreatininwerte sowie eine eingeschränkte plasmatische Gerinnung auffällig. Zeichen von Hämorrhagien werden jedoch eher selten gefunden. Im Gegensatz zum HFRS kommt es normalerweise nicht zu einer wesentlichen Beteiligung der Niere.

Diagnostik und Meldepflicht

Prinzipiell stehen zum Infektionsnachweis drei Verfahren zur Verfügung: Virusanzucht, Nukleinsäureamplifikationsverfahren und immunologische Nachweismethoden (3).

  • Die Virusanzucht ist kein Routineverfahren, da sie zeitaufwändig ist und nur in speziellen Sicherheitslaboren möglich ist. Außerdem ist zum Zeitpunkt der klinischen Präsentation zumeist kein Virus mehr nachweisbar.
  • Nukleinsäureapplikationverfahren sind prinzipiell weniger aufwändig als die Virusanzucht, jedoch ist hier ebenso die fehlende Nachweisbarkeit zum Zeitpunkt der klinischen Präsentation das Hauptproblem.
  • Somit stellt in der klinischen Routine der Nachweis von Antikörpern (IgM/IgG) das Routineverfahren dar. IgM-Antikörper sind 14 Tage nach Infektion nachweisbar, IgG-Antikörper circa drei Wochen nach Infektion. Neben einigen In-house-Tests in spezialisierten Laboren, sind mittlerweile auch kommerzielle ELISA-Tests im Einsatz.

In Deutschland sind hantavirale Erkrankungen nach § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) namentlich meldepflichtig bei Verdacht, Nachweis oder Tod einer hämorrhagischen Erkrankung, sowie nach § 7 IfSG bei direktem oder indirektem Infektionsnachweis. Die generelle Meldepflicht besteht jedoch erst seit 2001, sodass wir die Zahlen zur Epidemiologie erst seit diesem Zeitpunkt vergleichen können. Hierbei wird deutlich dass alle vier bis fünf Jahre ein deutlicher Anstieg der Infektionszahlen zu verzeichnen ist (siehe Abbildung 1). Dies geht nach epidemiologischen Beobachtungen am ehesten auf Schwankungen in der Rötelmaus-Population zurück. In Jahren, in denen die Mauspopulation stark anwächst, ist die Expositionsgefahr bei Aktivitäten im Garten oder Wald, zum Beispiel beim Reinigen von Unterständen oder Gartenhäuschen, deutlich erhöht. Im vergangenen Jahr 2017 ist insbesondere in den süddeutschen Endemiegebieten Baden-Württemberg und Bayern wieder ein deutlicher Anstieg der Meldezahlen zu verzeichnen gewesen. Auch wenn die Zahlen noch nicht abschließend vorliegen, gehen die Behörden von bis zu 3000 Fällen für 2017 aus. Aufgrund der häufig milden Verlaufsform dürfte die Zahl der tatsächlichen Infektionen aber weit höher liegen.

Abbildung 1: Anzahl der seit Beginn der Meldepflicht an das Robert Koch-Institut gemeldeten hantaviralen Erkrankungen (nach (5)).


Bei der Nephropathia epidemica kommen differenzialdiagnostisch neben klassischen nephrologisch/rheumatologischen Diagnosen (Glomerulonephritiden, unspezifischer Infekt plus diabetische/hypertensive Nephropathie) auch infektiologische Ursachen wie eine Leptospirose infrage. Letztere ist anamnestisch besonders zu beachten, da hier die Exposition (Garten, Feld, Wald) identisch sein kann.

Therapie, Prophylaxe und Prävention

Szabò hat in einem aktuell erschienenen Übersichtsartikel eine gute Zusammenstellung der Therapie- und Prophylaxemöglichkeiten veröffentlicht (4). Nachfolgend soll in Kürze auf die für Deutschland relevanten Aspekte eingegangen werden.

1. Therapie

Wie bei der Mehrzahl der durch Viren verursachten Erkrankungen steht uns keine spezifische Therapie zur Verfügung. Ribavirin (zugelassen für die chronische Hepatitis C) wurde bei schweren HFRS-Verlaufsformen als „Universal“-Virustatikum off-label eingesetzt und zeigt in Zellkultur auch einen wachstumshemmenden Effekt, die klinische Relevanz ist aber unklar. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Diagnose zumeist schon kein Virus mehr nachweisbar ist, lässt vermuten, dass die Pathologie dann nicht mehr durch virustatische Medikamente beeinflusst werden kann. Des Weiteren scheint vor dem Hintergrund der zumeist milde verlaufenden Puumala-Infektionen der Einsatz einer potenziell stark nebenwirkungsbehafteten Therapie wenig sinnvoll.

2. Prophylaxe und Prävention

Ein kommerzieller Impfstoff ist aktuell nicht erhältlich, sodass der Fokus auf der Expositionsvermeidung liegt. Hierfür gibt es eine Reihe guter Empfehlungen (6;7). Bei der klinischen Versorgung von HFRS-Patienten ist, sofern die Einhaltung von allgemeinen Hygienevorschriften gewährleistet wird, eine Isolierung nicht notwendig. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung wurde bis heute nur bei südamerikanischen Viren (HPS) beobachtet. Dies ist aber eher die Ausnahme denn die Regel.

Fazit für die Praxis

Hantaviren werden durch Nagetiere übertragen, kommen weltweit vor und rufen je nach Subtyp unterschiedlich schwer verlaufende Erkrankungen hervor. Die Nephropathia epidemica genannte mitteleuropäische Variante stellt eine eher milde Verlaufsform dar, die zumeist durch allgemeines Krankheitsgefühl und reversible Nierenfunktionseinschränkungen geprägt ist. Differenzialdiagnostisch steht die Leptospirose, neben nephrologischen Diagnosen, im Vordergrund. Expositionsprophylaxe bei Risikotätigkeiten wird empfohlen, impfstoff- oder virusspezifische therapeutische Möglichkeiten stehen zum aktuellen Zeitpunkt nicht zur Verfügung. Die Erkrankung ist nach § 6 und § 7 IfSG meldepflichtig.

Interessenkonflikte

D. Wichmann erhielt persönliche Honorare für Beratertätigkeiten und Honorare für Referententätigkeiten von MSD, Gilead und Pfizer. Reisekosten erhielt er von Gilead und MSD.

Literatur
  1. Lee HW, Vaheri A, Schmaljohn CS: Discovery of hantaviruses and of the Hantavirus genus: personal and historical perspectives of the Presidents of the International Society of Hantaviruses. Virus Res 2014; 187: 2-5.
  2. Kruger DH, Ulrich RG, Hofmann J: Hantaviruses as zoonotic pathogens in Germany. Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 461-467.
  3. Mattar S, Guzman C, Figueiredo LT: Diagnosis of hantavirus infection in humans. Expert Rev Anti Infect Ther 2015; 13: 939-946.
  4. Szabo R: Antiviral therapy and prevention against hantavirus infections. Acta Virol 2017; 61: 3-12.
  5. Robert Koch-Institut: Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2016: www.rki.de/DE/Content/Infekt/Jahrbuch/Jahrbuch_2016.pdf. Berlin 2017.
  6. Centers for Diseases Control and Prevention: Hantavirus: www.cdc.gov/hantavirus/. Letztes Review: 1. November 2012; Stand: 6. April 2017.
  7. Robert Koch-Institut: Wie vermeide ich Hantavirus-Infektionen?: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/Hantavirus/Merkblatt_PDF.html. Berlin, 23. September 2010.