Akuter Harnwegsinfekt bei Frauen: Antibiotikum oder NSAR?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2016

Autor

Zusammenfassung

In der hausärztlichen Praxis erfolgen 25 % aller Antibiotikaverordnungen für die Therapie akuter, unkomplizierter Harnwegsinfekte. Eine auf Nichtunterlegenheit angelegte, randomisierte Doppelblindstudie bei Frauen (3 x 400 mg Ibuprofen versus 1 x 3 g Fosfomycin für jeweils drei Tage) ergab bei initial symptomatischer Therapie einen um zwei Drittel verminderten Antibiotikaverbrauch. In der Ibuprofen-Gruppe hatten Frauen dafür etwas häufiger Beschwerden, benötigten aber seltener Antibiotika wegen Rezidiv/Rückfall und erlitten öfter unerwünschte Wirkungen.

Ob man mit Hilfe einer Urinkultur in der Praxis, einem abklärenden Gespräch mit betroffenen Frauen und einer u. U. verzögerten Antibiotikaverordnung zu einer gemeinsamen, rationalen Entscheidung (shared decison making) kommen kann, müssen weitere Studien klären.

Abstract

Acute urinary tract infections (UTIs) account for 25 % of all antimicrobial treatments by general practitioners. A randomised, double-blind non-inferiority study in women (3 x 400 mg ibuprofen versus 1 x 3 g Fosfomycin for three days) resulted in a two third reduction of antibiotic use when initial treatment was symptomatic only. Women in the ibuprofen group, however, showed symptoms more frequently, but needed less frequently antibiotics for UTI recurrence/relapse and suffered more frequently from adverese drug events.

Further studies should find out whether an urine culture plus clarifying conversation and delayed antibiotic prescription will result in shared decision making on a rational basis.

Etwa die Hälfte aller Frauen (jüngere deutlich häufiger als ältere) erleidet mindestens einmal im Leben einen unkomplizierten Harnwegsinfekt (HWI). Der Begriff „unkompliziert“ ist durch das Fehlen von strukturellen oder funktionalen Veränderungen des Urogenitaltrakts definiert und trifft daher auf die meisten HWI bei Frauen zu, nicht aber auf HWI z. B. bei Schwangeren, älteren Männern oder Kindern (1).

Viele betroffene Frauen suchen erst dann einen Arzt auf, wenn Versuche mit Hausmitteln erfolglos waren. In dieser Situation sind die Erwartungen von Patientin und Arzt groß, die Beschwerden durch die Gabe eines Antibiotikums rasch zum Abklingen zu bringen. Das wiederum führt dazu, dass 25 % aller Antibiotikaverordnungen in der hausärztlichen Praxis für diese Indikation erfolgen.

Da die Symptome in den meisten Fällen aber auch ohne antibiotische Behandlung nach rund einer Woche sistieren und bei einem unkomplizierten Harnwegsinfekt in der Regel keine abwendbar gefährlichen Verläufe zu befürchten sind, sieht die S3-Leitlinie „Brennen beim Wasserlassen“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin eine rein symptomatische Therapie als vertretbare Option an (2). Dies könnte mithelfen, die beängstigend zunehmende antimikrobielle Resistenzentwicklung zu verlangsamen.

Ob eine solche symptomatische Behandlung einer Antibiotikatherapie unterlegen ist, wurde in einer randomisierten, doppelblinden, auf Nichtunterlegenheit angelegten Studie bei 494 HWI-Patientinnen aus 42 Hausarztpraxen geprüft.

„Ibuprofen versus fosfomycin for uncomplicated urinary tract infection in women“ (3)

Autor/innen aus Universitätsinstituten für Allgemeinmedizin bzw. Public Health/Versorgungsforschung (Göttingen, Hannover, Freiburg, Bremen) sowie der Biometrie am Hamburger Klinikum Eppendorf verglichen

  • eine Einmaldosis von 3 g Fosfomycin (plus entsprechende Dosen von Placebo) gegen 3 x 400 mg Ibuprofen für jeweils drei Tage.
  • In beiden Gruppen erhielten Frauen mit persistierenden, stärker werdenden oder rezidivierenden Symptomen nach Urinkultur und Präferenz des Hausarztes ein weiteres Antibiotikum.
  • Primärer Endpunkt war die Anzahl aller verordneten Antibiotika (Tage 0–28) sowie ein Symptomenscore aus Schweregrad und Beschwerdedauer (Tage 0–7).

Den Ablauf vom Screening möglicher Teilnehmerinnen über die Randomisierung bis zur Auswertung zeigt die folgende Abbildung 1.

Abbildung 1: Ablaufschema der Studie

Wichtigste Ergebnisse

  • Nach sieben Tagen waren in der Ibuprofen-Gruppe 70 % der Patientinnen beschwerdefrei, in der Fosfomycin-Gruppe 82 % (Unterschied nicht signifikant).
  • Die symptomatische Behandlung mit Ibuprofen verminderte die Gesamtzahl verordneter Antibiotika im Vergleich zur Fosfomycin-Gruppe um zwei Drittel (85 versus 243).
  • Rezidive/Rückfälle, die bis zum 28. Tag eine weitere antimikrobielle Behandlung erforderten, waren in der Ibuprofen-Gruppe mit n = 27 (11 %) seltener als in der Fosfomycin-Gruppe mit n = 34 (14 %).
  • Fünf Frauen in der Ibuprofen- und eine Frau in der Fosfomycin-Gruppe entwickelten eine Pyelonephritis (statistisch nicht signifikant).
  • Bei vier Frauen in der Ibuprofen-Gruppe traten ernsthafte Nebenwirkungen auf, die zur Krankenhausaufnahme führten (wobei wahrscheinlich nur die akute gastrointestinale Blutung einer Patientin als Nebenwirkung von Ibuprofen gewertet werden kann).

Kommentar

Die Hypothese der Studie, die symptomatische Therapie mit Ibuprofen sei der Behandlung mit Fosfomycin nicht unterlegen (also gleichwertig), musste verworfen werden. Alle Patientinnen mit unkompliziertem HWI initial immer symptomatisch und ohne Antibiotikum zu behandeln, erscheint deshalb wahrscheinlich zu mutig.

Andererseits sollte die Möglichkeit, erhebliche Mengen an Antibiotika einzusparen, nicht einfach liegengelassen werden. Wie könnte man diesen Konflikt in der Praxis lösen?

Ein detaillierter Blick in die Ergebnisse zeigt, dass Frauen mit positiver Urinkultur eine ausgeprägtere Symptomatik aufwiesen und häufiger im Urinstix auffielen. Vereinfacht gesagt, sie waren etwas kränker als die Patientinnen mit negativer Urinkultur.

Die gängigen hausärztlichen Leitlinien sehen keine routinemäßige Kultur vor, weil in über 85 % der Fälle E. coli nachgewiesen werden kann.

Würde man in der Praxis aber bei allen Frauen mit Hilfe eines Eintauchnährbodens eine Urinkultur anfertigen und bei positivem Ausfall die Einstellung der Frauen zu Antibiotika erfragen, könnte man vielleicht viele derjenigen herausfiltern, die von einer antimikrobiellen Behandlung eher profitieren würden.

Fällt die Urinkultur hingegen negativ aus bzw. wäre die Einstellung der Patientin von vornherein kritisch gegenüber Antibiotika, könnte man mit gutem Gewissen den Frauen zuraten, zunächst symptomatisch und nur bei Verschlechterung antibiotisch zu behandeln (nur in diesem Fall würde die Betroffene ein bereits ausgefülltes Rezept in der Apotheke einlösen – delayed antibiotic prescription).

Ob ein solches Konzept der gemeinsamen Entscheidungsfindung tatsächlich tragfähig ist und zu einer erheblichen Antibiotikaeinsparung beitragen würde, müsste allerdings in weiteren Studien ausgelotet werden.

Fazit für die Praxis

Viele Frauen mit den Beschwerden eines akuten HWI suchen einen Arzt erst nach erfolglosen Versuchen mit Hausmitteln auf, sodass hohe Erwartungen bestehen, die Symptomatik durch die Gabe eines Antibiotikums zu behandeln. Da die Symptome in den meisten Fällen aber auch ohne antimikrobielle Therapie sistieren, könnte eine rein symptomatische Therapie die zunehmende Resistenzentwicklung verlangsamen.

Eine auf Nichtunterlegenheit angelegte, randomisierte Doppelblindstudie in hausärztlichen Praxen (3 x 400 mg Ibuprofen versus 1 x 3 g Fosfomycin für jeweils drei Tage) ergab bei initial symptomatischer Therapie einen um 67 % verminderten Antibiotikaverbrauch. In der Ibuprofen-Gruppe waren Frauen etwas seltener beschwerdefrei, benötigten seltener Antibiotika wegen Rezidiv/Rückfall und erlitten häufiger unerwünschte Wirkungen.

Ob man mit Hilfe einer Urinkultur in der Praxis, einem abklärenden Gespräch mit betroffenen Frauen und einer u. U. verzögerten Antibiotikaverordnung zu einer gemeinsamen, rationalen Entscheidung (shared decison making) kommen und auf diesem Weg erhebliche Mengen an Antibiotika einsparen könnte, müssen weitere Studien zeigen. Bei der Aktualisierung von hausärztlichen Leitlinien sollten die Ergebnisse dieser und ggf. künftiger Studien mit einfließen.

Interessenkonflikte

Der Verfasser ist Koautor der besprochenen Studie. Keine weiteren Interessenkonflikte.

Literatur
  1. Tarr P, Baumann K, Wallnöfer A et al.: Akute Harnwegsinfektionen, Teil 1: HWI in der Praxis. Schweiz Med Forum 2013; 13: 467-471.
  2. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) (Hrsg.): Brennen beim Wasserlassen. DEGAM-Leitlinie Nr. 1. Düsseldorf: Omikron Publishing, 2009.
  3. Gagyor I, Bleidorn J, Kochen MM et al.: Ibuprofen versus fosfomycin for uncomplicated urinary tract infection in women: randomised controlled trial. BMJ 2015; 351: h6544.