Entwicklung einer gemischten Polyneuropathie unter Dronedaron (Multaq®) (Aus der UAW-Datenbank)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 112, Heft 25, 19.06.2015

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 112, Heft 25, 19.06.2015

Indikation und Verordnung von Dronedaron

Dronedaron besitzt eine Strukturähnlichkeit zu Amiodaron, enthält aber kein Jod. Es ist indiziert zum Erhalt des Sinusrhythmus nach einer erfolgreichen Kardioversion bei erwachsenen, klinisch stabilen Patienten mit paroxysmalem oder persistierendem Vorhofflimmern (1). Aufgrund seiner unerwünschten Wirkungen sollte es nur eingesetzt werden, nachdem alternative Behandlungsoptionen in Erwägung gezogen wurden. Bei Patienten mit linksventrikulärer systolischer Dysfunktion oder bei bestehender oder in der Vergangenheit aufgetretener Herzinsuffizienz darf es nicht angewendet werden. Darüber hinaus bestehen eine Reihe weiterer Einschränkungen für die Anwendung (siehe Fachinformation).

Dronedaron ist ein Mehrkanalblocker, der den Kaliumstrom hemmt und das Aktionspotenzial des Herzens und die Refraktärzeit verlängert. Es hemmt auch den Natrium- und den Kalziumstrom und ist ein nichtkompetitiver Antagonist adrenerger Aktivität. Die Effekte lassen sich allen vier Klassen der Antiarrhythmika nach Vaughan-Williams zuordnen (1).

Dronedaron wurde 2010 in den Markt eingeführt. Es ist gegenüber Amiodaron deutlich weniger antiarrhythmisch wirksam (2; 3). Durch die Einführung einer Methansulfonylgruppe wurde bei Dronedaron die Lipophilie gegenüber Amiodaron gesenkt, mit Auswirkungen auf die Halbwertszeit und der Annahme von weniger neurotoxischen Wirkungen (4). Die kürzere Halbwertszeit wurde als Vorteil gesehen (Dronedaron: 25–30 Stunden, Amiodaron: 20–100 Tage) und aufgrund fehlender Jodsubstitution im Molekül wurden weniger Nebenwirkungen erwartet. Nach der Zulassung führten jedoch Sicherheitsprobleme von Dronedaron hinsichtlich Leberschäden, Lungenschäden sowie kardiovaskulärer Ereignisse zu einer deutlichen Einschränkung der Indikation durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (5–7). Die Verordnungen von Dronedaron sind nach Markteinführung zunächst bis auf 10,7 Mio. definierte Tagesdosen (DDD) im Jahr 2011 gestiegen und seitdem rückläufig (2013: 7,7 Mio. DDD) (8).

Der AkdÄ wurde über einen 70-jährigen Patienten berichtet, der unter Behandlung mit Dronedaron eine ausgeprägte gemischte Neuropathie der unteren Extremitäten entwickelt hat. Bei dem Patienten war acht Jahre zuvor eine Totaloperation wegen eines Prostatakarzinoms durchgeführt worden. Aufgrund eines langsamen Anstiegs des PSA-Wertes wurde seit sechs Monaten eine antiandrogene Behandlung mit Leuprorelinacetat (Trenantone®) durchgeführt. Zum Erhalt eines Sinusrhythmus nach erfolgter Kardioversion bei intermittierendem Vorhofflimmern erhielt er seit etwa 2,5 Jahren Dronedaron. Andere Medikamente wurden nicht eingenommen. Etwa ein Jahr nach Beginn der Dronedaron-Medikation entwickelte sich unterhalb der Knie ein Missempfinden (kribbelnd, teils als heiß empfunden) mit einem geminderten Oberflächenberührungsempfinden. Bei einer neurologischen Untersuchung zeigten sich ein vollständig aufgehobenes Vibrationsempfinden, fehlende Achillessehnenreflexe beidseits sowie beginnende trophische Störungen im betroffenen Bereich. Die neurophysiologische Untersuchung bestätigte eine Neuropathie mit Reduktion der motorischen Leitgeschwindigkeiten, einer Reduktion der Amplituden der motorischen Summenpotenziale und fehlenden sensiblen Suralis-Potenzialen. Andere Ursachen für die Neuropathie wie Diabetes mellitus oder Alkoholismus lagen nicht vor und ein Zusammenhang mit dem Prostatakarzinom oder der Leuprorelin-Behandlung wurde als unwahrscheinlich eingeschätzt. Unter dem Verdacht, dass Dronedaron zu einer toxischen Neuropathie geführt haben könnte, wurde es abgesetzt und die antiarrhythmische Behandlung mit Verapamil weitergeführt. Ein halbes Jahr später hatten sich die polyneuropathischen Beschwerden langsam zurückgebildet und die neurophysiologischen Parameter zeigten fast alle eine deutliche Verbesserung, sodass der Verdacht erhärtet wurde, dass es sich um eine Nebenwirkung von Dronedaron handelt. Bei einer abschließenden Verlaufsuntersuchung hatten sich die Beschwerden komplett zurückgebildet.

Neurotoxische Reaktionen unter Dronedaron und Amiodaron

Aufgrund der deutlichen Besserung der Polyneuropathiesymptomatik nach Absetzen von Dronedaron und des Fehlens überzeugender anderer Ursachen kann man im vorliegenden Fall von einem wahrscheinlichen kausalen Zusammenhang ausgehen. In der Fachinformation von Multaq® werden unter Nebenwirkungen am Nervensystem nur Geschmacksstörung („gelegentlich“) und Geschmacksverlust („selten“) aufgeführt (1). In der über das Internet recherchierbaren Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind insgesamt 930 Verdachtsberichte zu Nebenwirkungen von Dronedaron erfasst: Am häufigsten berichtet werden Vorhofflimmern und erhöhte Leberwerte. Unter Nebenwirkungen am Nervensystem wird Polyneuropathie sechsmal, periphere sensorische Neuropathie sowie axonale Neuropathie jeweils einmal genannt.

Die WHO hat Ende des letzten Jahres auf der Basis von acht Fallberichten in der globalen Datenbank von Nebenwirkungsmeldungen ein Signal für einen Zusammenhang zwischen Dronedaron und dem Auftreten einer Polyneuropathie gesehen (4). Darüber hinaus gibt es in der Literatur nur einzelne Fallberichte über neurotoxische Wirkungen von Dronedaron (9; 10).

Im Zusammenhang mit der Gabe des strukturell eng verwandten Amiodaron sind neurotoxische Wirkungen bekannt (11). Ihre Häufigkeit wurde in der Vergangenheit jedoch eher überschätzt, vermutlich aufgrund der früher eingesetzten höheren Dosierungen von Amiodaron. In einer aktuelleren Untersuchung traten bei 2,8 % der mit Amiodaron behandelten Patienten neurotoxische Nebenwirkungen auf und der wichtigste Risikofaktor war die Therapiedauer (12). In dieser Studie waren die Reaktionen in den meisten, jedoch nicht in allen Fällen reversibel.

Zusammenfassung und Empfehlung der AkdÄ

Das Antiarrhythmikum Dronedaron ist strukturell eng mit Amiodaron verwandt, jedoch deutlich weniger wirksam. Aufgrund der fehlenden Jodsubstitution und der geringeren Lipophilie ist man bei Dronedaron von einem günstigeren Sicherheitsprofil ausgegangen als bei dem nebenwirkungsträchtigen Amiodaron. Sicherheitsprobleme von Dronedaron, die nach der Zulassung bekannt wurden (Leberschäden, Lungenschäden, kardiovaskuläre Risiken), haben bereits zu erheblichen Einschränkungen der Anwendung geführt. Fallberichte deuten nun darauf hin, dass Dronedaron in seltenen Fällen auch zu einer Polyneuropathie führen kann. Bei Patienten, die unter einer Behandlung Symptome wie z. B. Sensibilitätsstörungen, muskuläre Schwäche, trophische Störungen und reduzierte Sehnenreflexe entwickeln, sollte eine weitere Diagnostik eingeleitet und die Möglichkeit einer Nebenwirkung von Dronedaron frühzeitig in Betracht gezogen werden.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können online über unsere Website www.akdae.de melden oder unseren Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird.


Literatur
  1. Sanofi-Aventis Deutschland GmbH: Fachinformation „Multaq® 400 mg Filmtabletten“. Stand: September 2014.
  2. Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Dronedaron. Dtsch Arztebl 2012; 109: Beilage „Wirkstoff aktuell“ 4/2012.
  3. Le Heuzey JY, De Ferrari GM, Radzik D et al.: A short-term, randomized, double-blind, parallel-group study to evaluate the efficacy and safety of dronedarone versus amiodarone in patients with persistent atrial fibrillation: the DIONYSOS study. J Cardiovasc Electrophysiol 2010; 21: 597–605.
  4. Dronedarone and Polyneuropathy. WHO Pharmaceuticals Newsletter 2014; No. 4: 19–21.
  5. Sanofi-Aventis Deutschland GmbH: Informationen über schwere Leberschädigungen, die mit der Anwendung von Multaq® (Dronedaron) in Verbindung gebracht werden. Rote-Hand-Brief vom 21. Januar 2011.
  6. Sanofi-Aventis Deutschland GmbH: Informationen zu Multaq® (Dronedaron) in Folge vorläufiger Studienergebnisse, die auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko hinweisen. Rote-Hand-Brief vom Juli 2011.
  7. Sanofi-Aventis Deutschland GmbH: Information über eine Einschränkung der Anwendung von Multaq® (Dronedaron).
  8. Rote-Hand-Brief vom September 2011.
  9. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2014. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2014.
  10. Polyneuropathie und Sehstörungen unter Dronedaron (MULTAQ). arznei-telegramm 2012; 43: 47.
  11. Di Trapani R, Freeman WD: Dronedarone-induced neurotoxicity. Am J Respir Crit Care Med 2015; 183: A3880 (Meeting Abstract).
  12. Sanofi-Aventis Deutschland GmbH: Fachinformation „Cordarex®“. Stand: September 2014.
  13. Orr CF, Ahlskog JE: Frequency, characteristics, and risk factors for amiodarone neurotoxicity. Arch Neurol 2009; 66: 865–869.