Wie teratogen sind Antikonvulsiva?

(Originalfassung; verkürzte Fassung in AVP 4/2001)

In den Standardlehrbüchern der Neurologie (z. B. R. D. Adams, M. Victor und A. H. Ropper: Priniciples of Neurology, 1997) wird empfohlen, die antikonvulsive Therapie bei schwangeren Frauen mit Epilepsie fortzuführen. Diese von zahlreichen Ärzten auch in Deutschland umgesetzte Empfehlung beruht auf der Überlegung, dass das teratogene Risiko möglicher epileptischer Anfälle größer sei als das einer antikonvulsiven Therapie. Das teratogene Risiko bei Schwangeren unter antikonvulsiver Therapie sei gegenüber Normalschwangeren nur unwesentlich erhöht, weshalb die Medikation fortgeführt werden sollte, obwohl bekannt ist, dass diese Substanzen zu einem erhöhten Missbildungsrisiko führen.

Diese Empfehlung wurde in letzter Zeit zunehmend kritisch diskutiert. Als ein weiterer möglicher Grund für das erhöhte Missbildungsrisiko bei Kindern von Frauen mit Epilepsie werden auch Einflüsse vermutet, die unabhängig von der Medikation sind, wie z. B. genetische Faktoren, die auch für die Epilepsie der Mutter verantwortlich sein sollen. Zur Klärung der weitgehend offenen Frage, ob es zu einem erhöhten Missbildungsrisiko durch die maternale Epilepsie selbst kommt, wurde die im folgenden referierte Studie (1) konzipiert.

Eine Zahl von 128.049 schwangeren Frauen wurde hinsichtlich der Einnahme von Antikonvulsiva und dem Bestehen einer Epilepsie befragt. Aus dieser Stichprobe wurden 3 Gruppen gebildet und in die Studie eingeschlossen:

  1. Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Antikonvulsiva einnahmen (n = 316),
  2. Kinder von Müttern mit einer Epilepsie in der Vorgeschichte; ohne Antikonvulsiva (n = 98) und
  3. eine Kontrollgruppe mit Kindern von antikonvulsivafreien Müttern ohne Epilepsie (n = 508).

In die erste Gruppe wurden auch Mütter bzw. deren Kinder eingeschlossen, die Antikonvulsiva aus anderer Indikation (z. B. bipolar affektive Störung) während der Schwangerschaft einnahmen. Alle eingeschlossenen Kinder wurden von Prüfärzten körperlich untersucht, wobei die Ärzte keine Information darüber hatten, welcher der o. g. Gruppen die Kinder zugeordnet waren. Mehrlingsschwangerschaften wurden ausgeschlossen, da in dieser Gruppe per se eine erhöhte Missbildungsrate vermutet wird. Von den 316 Kindern, deren Mütter Antikonvulsiva in der Schwangersachft einnahmen, waren 223 Kinder nur einer antikonvulsiven Substanz und 93 Kinder zwei oder mehreren Substanzen ausgesetzt.

Die Untersuchung ergab, dass Kinder, die nur einer antikonvulsiven Substanz in der Schwangerschaft ausgesetzt waren, ein deutlich erhöhtes Risiko hatten, an einer Missbildung zu erkranken. In dieser Gruppe betrug das relative Risiko (odds ratio) für das Auftreten einer Embryopathie gegenüber der Kontrollgruppe 2.8.

Kinder, die in der Schwangerschaft einer oder mehrer antikonvulsiven Substanzen ausgesetzt waren, hatten ein noch höheres Risiko, an einer Missbildung zu erkranken. In dieser Gruppe stieg das relative Risiko auf 4.2 an.

Kinder von antikonvulsivafreien Müttern mit einer Epilepsie in der Vorgeschichte hatten gegenüber der Kontrollgruppe kein erhöhtes Risiko, eine Missbildung zu erleiden.

Das höchste relative Risiko zeigte Phenobarbital (3.9) gefolgt von Phenytoin (2.8) und Carbamazepin (1.7). Dies bezieht sich auf die Gruppe von Kindern, die nur einem Antikonvulsivum ausgesetzt waren. Aus dieser Gruppe nahmen 87 Patienten Phenytoin, 64 Phenobarbital, 58 Carbamazepin, 6 Valproinsäure, 6 Clonazepam sowie jeweils 1 Patient Diazepam und Lorazepam. Es gab keinen signifikanten Unterschied in der Auftretenshäufigkeit von Missbildungen bei Kindern von Müttern unter Antikonvulsiva, die im ersten Trimenon Anfälle mit Bewusstseinsverlust erlitten, gegenüber der Gruppe mit Müttern, die Anfälle mit anderen Anfallstypen hatten und Antikonvulsiva einnahmen. Ob die Mutter wegen einer Epilepsie oder einer anderen Erkrankung Antikonvulsiva einnahm, hatte keinen wesentlichen Einfluss auf das Auftreten von Embryopathien.

Fazit

Die Daten der vorliegenden Studie zeigen, dass allein das Vorliegen einer Epilepsie bei Schwangeren kein erhöhtes Risiko für missgebildete Kinder mit sich bringt. Auf der anderen Seite konnte gezeigt werden, dass die Gabe von Antikonvulsiva in der Schwangerschaft (unabhängig von der Grunderkrankung!) zu einem signifikant erhöhten Risiko führt, dass eine Embryopathie auftritt. Werden zwei oder mehrere antikonvulsive Substanzen kombiniert, erhöht sich das Risiko deutlich. Die Studie ist nicht angelegt worden, um zu untersuchen, ob ein Absetzen der Antikonvulsiva in der Schwangerschaft bei werdenden Müttern mit Epilepsie sinnvoll ist. Weiterführende Aussagen über die spezifische Teratogenität der einzelnen Antikonvulsiva kann mittels dieser Studie nicht gemacht werden, da die Substanzen zu ungleich verteilt waren (nur 6 Kinder unter Valproinsäure).

Literatur

Holmes LB, Harvey EA, Coull BA et al.: The teratogenicity of anticonvulsant drugs. N Engl J Med 2001; 344 (15): 1132 - 1138.

Dr. med. Ferenc Tracik
Prof. Dr. med. Göran Hajak
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg
Universitätsstraße 84
93053 Regensburg